Zero SR/S – Elektro-Sporttourer im Test – mit Video
Während von den „Grossen“ mit der LiveWire erst Harley-Davidson ein „richtiges“ Elektro-Motorrad lanciert hat, baut die ebenfalls amerikanische Firma Zero bereits seit 14 Jahren Elektro-Töff. Der neueste Wurf der Kalifornier heisst Zero SR/S. Wir haben das verschalte Elektro-Motorrad in Südfrankreich getestet.
Seit 2006 baut Zero Elektro-Motorräder. Während diese zu Beginn noch fast aussahen, als hätte man ein Mountain-Bike mit einem Elektromotor ausgerüstet, finden sich die Amerikaner heute in der Spitzengruppe der Elektro-Motorrad-Bauer wieder. Bereits letztes Jahr (2019) wurde mit der SR/F die neue Plattform lanciert, zu der auch die Zero SR/S gehört. Die SR-Bikes bieten dabei deutlich mehr Druck als die vorherigen Plattformen. Zudem wurden sie insgesamt hochwertiger. Das beginnt bei der Traktionskontrolle mit Bosch-IMU und endet beim volleinstellbaren Showa-Fahrwerk. Entsprechend gut wurde die SR/F denn auch aufgenommen – zumindest bei jenen, die Elektro-Töff nicht grundsätzlich verteufeln.
Die Zweite – Zero SR/S
Nun, nur ein Jahr später, folgt mit der SR/S das zweite Modell der SR-Baureihe. Herz dieser ist der von einer Tochterfirma eigens entwickelte Elektromotor ZF 75-10. Er generiert stattliche 110 PS Leistung sowie mächtige 190 Nm Drehmoment und wird von einer 14,4 kWh Batterie gespiesen. Während die SR/F ein klassisches Naked Bike ist, ist die SR/S etwas schwieriger einzuordnen. Am ehesten könnte man sie wohl als Sport-Tourer betiteln, wobei sie sich eher fährt, wie ein Naked Bike mit Verschalung, aber dazu später mehr.
Auf jeden Fall kommt die Zero SR/S mit einer Verschalung, bei deren Design sich die Amerikaner von der Luftfahrt inspirieren liessen, und natürlich auch ein Augenmerk auf die Aerodynamik legten. Versteckt sich der Fahrer hinter der Scheibe, soll bei Autobahntempi durch die verbesserte Aerodynamik so bis zu 13% mehr Reichweite drinliegen. Sitzt der Fahrer allerdings aufrecht, ist der „Drag-Koeffizient“ – also wie viel Luftwiderstand generiert wird – gleich wie bei der SR/F. Die Vorteile der Verschalung werden dabei von der aufrechteren Sitzposition dank höherem Lenker wieder ausgeglichen.
So war es den Entwicklern denn auch wichtig zu betonen, dass beim Design Optik und Fahrbarkeit und nicht die Reichweite im Vordergrund standen. Ansonsten hätte man nämlich irgend ein komisches, vollummanteltes Gefährt produzieren müssen, so der Entwicklungschef. Dass beim Design viel Überlegt wurde, zeigt sich indes auch an den Spiegeln. Diese sind unter dem Lenker angebracht, so dass man in ihnen nicht vor allem die eigene Schulter, sondern wirklich den nachfolgenden Verkehr sieht. Das ist praktisch, wobei wir diesen bei unserer rund 115 Kilometer langen Testfahrt südlich von Nizza noch so gerne hinter uns lassen.
Alltagstauglichkeit
Unsere Test-Route führt uns zunächst durch urbanes Gebiet und für ein kurzes Stück auf die Autobahn. Gerade in der Stadt kann der Elektro-Antrieb seine Stärken präsentieren. Durch die Abwesenheit von verschiedenen Gängen, ist man jederzeit bereit, in eine Lücke zu hechten und meistert den südfranzösischen Morgenverkehr erstaunlich gelassen. Auf der Autobahn teste ich den Windschutz. In der Tat ist es so, dass die Scheibe eigentlich nur wirklich hilft, wenn man sich klein macht. Sitze ich aufrecht, habe ich, wie bei Sporttourern üblich, zwar etwas weniger Druck auf der Brust, als bei einem Naked Bike, aber immer noch den Kopf und die Schultern im Wind.
Schon nach kurzer Zeit verlassen wir die Autobahn aber in Richtung Küste. Dieser Abschnitt, direkt über den Klippen der Côte d’Azur, ist vor allem in der Nebensaison, wenn die Touristen Zuhause sind, nicht nur optisch, sondern auch fahrerisch ein Leckerbissen. In schier endlosen Kurven-Kombinationen gleitet man hier der Küste entlang. Links ziehen rote Felsformationen vorbei, rechts erstreckt sich das blau leuchtende Mittelmeer – atemberaubend.
Keine Zeit zum Staunen
Doch mir bleibt nicht viel Zeit zum Staunen. Nach zu Beginn gemächlicher Pace gibt der Guide nun mächtig Strom – und wir hinterher. Wiederum zeigt sich, dass das wegfallende Schalten kaum negativen Einfluss auf den Fahrspass hat – wennauch meine Hand ab und an vergebens nach dem Kupplungshebel sucht und mein Fuss unnötigerweise in der Luft vor der Fussraste rumzappelt. Ansonsten punktet die Zero SR/S auch hier mit Druck in allen Lebenslagen. Die 110 PS und 190 Nm die es mit rund 230 kg Lebendgewicht zu tun haben, drücken ordentlich an. Ordentlich, aber nicht atemberaubend – der Mythos, dass Elektro-Bikes viel schneller beschleunigen als Verbrenner, stimmt nämlich nur dann, wenn das gesamte Drehzahlband gebraucht wird. Ziehe ich mit einem Verbrenner mit beispielsweise 150 PS im richtigen Drehzahlbereich auf, geht der natürlich deutlich schneller Vorwärts als das Elektro-Bike mit 110 PS.
Damit will ich die Zero – oder auch Elektro-Motorräder im Allgemeinen – keinesfalls schlechtreden – Power hat sie allemal genug, diese ist aber 1 zu 1 mit einem Verbrenner zu vergleichen. Die Elektronik, namentlich die Traktionskontrolle mit Bosch-IMU, arbeitet hingegen so hervorragend, wie ich es noch kaum jemals erlebt habe. Dies liegt laut den Entwicklern daran, dass die Befehle zur Reduzierung des Drehmoments beim Elektromotor direkt umgesetzt werden können und nicht zuerst die Drosselklappen geschlossen, oder die Zündzeitpunkte verschoben werden müssen.
Bewegte Massen
In Sachen Fahrwerk setzt Zero bei der SR/S auf Showa-Elemente. Sowohl die Gabel als auch das Federbein sind volleinstellbar und machen einen guten Job. Im Gegensatz zur SR/F wurde die Grundabstimmung etwas softer gewählt. Das gefällt mir bei der Gabel ganz gut, beim Federbein würde ich etwas zudrehen. So oder so erlaubt die Zero SR/S aber einen sehr sauberen Strich, bleibt dabei aber sehr agil. Diese Agilität rührt dabei nicht zuletzt auch von den wenigen bewegten Massen. Im Vergleich zum Benziner stabilisieren weder Kolben, noch Kurbelwelle noch ein Getriebe das Motorrad.
Bei den Bremsen haben die Amerikaner auf Vierkolbenzangen von J.Juan gesetzt. Und die sind mein praktisch einziger Kritikpunkt in Bezug auf die Fahreigenschaften. Schon bei der hervorragenden KTM 790 Duke, die auf Bremsen desselben Herstellers setzt, bemängelte ich damals deren Fading, nach längeren, sportlich gefahrenen Kurvenstrecken. Mit rund 50 Kilo mehr Gewicht, wird dieses Problem bei der Zero sicher nicht kleiner. Es ist nicht so, dass die Bremsleistung nicht passen würde, aber der Druckpunkt ist am Ende der Kurvenstrecke doch deutlich näher beim Fahrer, als zu Beginn.
Reichweite und Ladezeiten
Bleibt noch das bei Elektro-Bikes unausweichliche Thema Reichweite. Schauen wir uns die Zero-Broschüre an, gibt’s da Reichweiten-Angaben von 132 km bis zu satten 323 km. Die 132 km beziehen sich dabei auf reine Landstrassen- und Autobahnfahrten. Die 323 Kilometer sollen hingegen mit Zusatz-Akku im reinen Stadtverkehr drinliegen. Als kombinierte Reichweite ohne Zusatz-Akku gibt Zero 175 Kilometer an. Dies wird denn wohl auch die realistischste aller Zahlen sein. Wir haben beim Test 113 Kilometer gemacht, sind zügig bis schnell gefahren und ich habe lediglich die Modi Street sowie Sport gebraucht und kam mit einer angegebenen Restreichweite von 30 Kilometern beim Hotel an. Kollegen, die mehr im Eco-Mode und etwas weniger sportlich unterwegs waren, hatten noch 60 km Restreichweite, was dann ziemlich genau diese 175 Kilometer ergeben würde.
Natürlich ist auch das Laden ein wichtiges Thema. Zero setzt dabei bei der SR/S auf Wechselstrom-Ladung. Das mit der Begründung, dass Gleichstrom-Laden zwar schneller ist, diese Stationen aber weit weniger verbreitet sind. Mit der Standard-Version der SR/S (in der Schweiz ab 22’890 Franken) kann mit drei kW/h geladen werden. Mit der Premium-Version (ab 25’200 Franken; neben der Schnelladung zusätzlich mit Heizgriffen und Alu-Lenkerenden) kann mit 6 kW/h geladen werden. Wer sich zusätzlich noch ein Schnellade-Paket (rund 2500 CHF) kauft, kommt auf satte 12 kW/h, womit der Akku in einer Stunde von 0 wieder bei 95 Prozent ist.
Fazit
Die Zero SR/S ist nicht nur ein gutes Elektro-Motorrad, sondern einfach Grundsätzlich ein guter Töff. Der Motor schiebt ordentlich an, das Fahrwerk arbeitet feinfühlig und souverän und die Ergonomie stimmt. Einzig bei den Bremsen wünschte ich mir etwas mehr Beständigkeit. Und dann bleiben natürlich die „Probleme“ mit der Reichweite und dem Preis. Noch sind Elektro-Bikes – auch die Zero SR/S – aus diesen beiden Gründen nicht wirklich massentauglich, Spass bereiten sie aber allemal. Und das lässt mich entspannter in eine vielleicht gar voll elektrifizierte Zukunft blicken.