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Vor 20 Jahren – TÖFF 07/98

Immer weniger spricht gegen den geregelten Kat – Originalartikel aus TÖFF 07/98

So erfindungsreich und gewitzt die meisten Motorrad-Hersteller sich gebärden, sobald es die Konkurrenz mit neuen technischen Höhepunkten zu übertreffen gilt, so zurückhaltend und ablehnend geben sie sich, wenn man sie auf den geregelten Katalysator für motorisierte Zweiräder anspricht. Vor allem die Japaner werben lieber mit PS-Rekorden, während sie das Thema Umweltverträglichkeit geflis-sendich vermeiden; andererseits zeigen sich auch hochrangige Vertreter der US-Marke Harley-David-son besorgt über die angeblich übermässigen Forderungen europäischer Politiker in Sachen Umweltschutz.

Seit vor allem teure und hubraumgrosse Motorräder nicht mehr in unbeschränkter Menge gekauft werden und Unweltfreund-lichkeit in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens selbstverständlich wird, zerbrichtjedoch der Widerstand. Im Januar gründeten die vier japanischen Hersteller Honda, Yamaha, Suzuki und Kawasaki die Nippon MotorCycle Association NMCA, um gemeinsam Wege zu erforschen, wie Motorräder umweltverträglicher konstruiertwerden könnten.

Im Herbst 1990, bei der Motorrad-Ausstellung in Köln, kündigte BMW den ersten geregelten Drei-wege-Katalysator für Motorräder an. Ab Mai 1991 wurde die Abgasreinigung in den Vierzylinder-Modellen Kl und K 1000 RS angebo-ten; heute sind sämtliche Zwei- und Vierzylinder des deutschen Werkes mit geregeltem Katalysator erhältlich. In einigen Staaten (Deutschland, Österreich, Japan, den USA und in der Schweiz) werden sämtliche BMW ab Werk mit Kat ausgerüstet, in anderen Ländern können die Kunden ihn als Option bestellen.

Ab dem Jahr 2001 soll auch die Einzylinder-F 650, die bisher in Zusammenarbeit mit dem italienischen Aprilia-Werk gefertigt wird, mit Benzineinspritzung und geregeltem Kat gebaut werden. Bei den japanischen Herstellern ist der geregelte Kat hingegen bis heute eine Ausnahme. Yamaha rüstete die 1993 auf den Markt gekommene GTS 1000 damit aus, derweil Honda bis 1998 zögerte, bevor erjetzt in derVFR800 angeboten wird.

Katalysator hält 80 000 km

Vor allem die Japaner reagierten teilweise gereizt, als BMW das erste Kat-Motorrad zeigte. Allerlei Argumente wurden herbeigezogen, die beweisen sollten, dass der geregelte Kat für das motorisierte Zweirad untauglich sei. Weil der Kat erst bei Betriebstemperaturen von mehr als 300 Grad Celsius wirksam wird, sprachen seine Gegner von schwersten Verbrennungen, die zukünftige Kat-Kunden erleiden würden. Dann wieder wurde eine zu kurze Lebensdauerbeschworen, begründet durch vennehrte Vibrationen gegenüber Autos.
Heute hält ein BMW-Katalysator um 80 000 Kilometer; die Fertigungsmehrkosten für eine Auspuffanlage betragen für das Werk weniger als 300 Mark. Anfangs der 90erJahre argumentierte vor allem Honda, der geregelte Kat würde Motorräder bis zu 3000 Franken verteuern, jenseits der Schmerzgrenze der Kundschaft
also. Dabei kostet 1998 die VFR 800 mit 18 290 Franken genau soviel wie das Vorgängermodell VFR 750 ohne Kat
Dass Honda ausgerechnet jetzt den Katalysator entdeckt und ein neues Umwelt-Bewusstsein beschwört, geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem die japanische Regierung schärfere Abgas-grenzwerte beschlossen hat Ab Oktober 1998 dürfen Zweitakt-Motorräder bis 50 ccm Hubraum pro gefahrenen Kilometer höchstens 6,45 Gramm Kohlenmonoxyde, 5,26 g Kohlenwasserstoffe und 0,14 g Stickoxyde entwickeln. Ein Jahr später treten ähnliche Grenzwerte für Zweitakter bis 125 ccm in Kraft Daher baut der weltgrösste Hersteller in einem ersten Schritt ungeregelte Katalysatoren ein, wie sie in der Schweiz seit Jahren bei Zweitaktern üblich und bei Viertakt-Modellen (selbst bei Harley-Davidson) weit verbreitet sind. Bis zum Jahr 2001 sollen Kleinmotorräder und Roller, die heute von Zweitakt-Motoren angetrieben sind, durch Viertakter ersetzt werden.
Voraussetzung für den geregelten Kat ist die elektronisch geregelte Benzineinspritzung. Während diese im Automobilbau längst zum Kleinwagen-Standard gehört, statten die Motorrad-Ingenieure ihre Modelle nach wie vor überwiegend mit Vergasern aus. Trotzdem tauchen allmählich immer mehr vor allem hubraumgrosse Motorräder mit Einspritzung auf. Allerdings wird sie nicht etwa eingesetzt, um in erster Linie weniger Schadstoffe und einen geringeren Verbrauch zu bewirken, sondern hauptsächlich zur Leistungssteigerung. Jetzt verlangt auch die japanische Regierung mehr Umweltschutz.

Vergaser sind einfacher

Mehrere Modelle von Suzuki, Ducati, Harley-Davidson und Moto Guzzi besitzen elektronisch gesteuerte Einspritzungen, aber keinen geregelten Kat. «Man muss den geregelten Kat von allen Herstellern fordern», sagtFrank Schröder, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Schröder (30) arbeitet an einer Dissertation, die sich mit dem Verbrauch und dem Schadstoffe-Ausstoss von Motorrädern befasst und hat festgestellt: «Die technischen Grundlagen sind vorhanden, werden aber von vielen Herstellern nicht eingesetzt»
Dass die Techniker bisher lieber mit Vergasern statt mit Einspritzung arbeiten, hat mit dem breiten Drehzahlband vieler Modelle zu tun. Anders als bei Autos zieht sich der nutzbare Bereich ab etwa 2000/ min bis zu teilweise 14000/min hin. Die grossen Unterschiede beim Gasdurchsatz machen es schwieriger als bei Vier-rädem, die Einspritzung so abzustimmen, dass jederzeit das für die aktuelle Situation optimale Gemisch erzeugt wird. BMW-Techniker errechneten ein ideales Verhältnis von 14 zwischen angesaugter Frischluft und eingespritztem Benzin, damit der geregelte Katalysator den höchsten Wirkungsgrad erreicht Honda geht bei der VFR 800 vom Faktor 14,7 aus.
Mit ungeregelten Katalysatoren und Vergasermotoren kommt es mit zunehmender Lebensdauer zu stärkeren Schwankungen bei den ausgestossenen Schadstoffen, zudem hält der ungeregelte Kat (den auch BMW in der Einzylinder-F 650 einsetzt) deutlich weniger lange. «Im schlimmsten Fall ist er nach wenigen 1000 km bereits nutzlos», sagt BMW-Sprecher Hans Sautter.
Fachleute wie Frank Schröder sind heute der Ansicht, die Motor-
rad-Hersteller seien nicht unschuldig an dem politischen Druck, dem sie sich spätestens seit den 70erjah-ren in fast regelmässigen Abständen ausgesetzt sehen. Statt sich etwa um einen möglichst geringen Benzinverbrauch zu kümmern, stellen sie auch mehr als 110 Jahre, nachdem Paul Daimler mit einem hölzernen und 0,5 PS leistenden Reitwagen die Gegend um Stuttgart-Bad Cannstatt unsicher machte, Neuheiten auf die Strasse, die bei durchschnittlicher Fahrweise bis zu 10 Liter/100 km verbrennen. «Sie konstruieren für Fahrleistungen, die man heute im Strassenverkehr nicht mehr nutzen kann», sagt Schröder.

Politiker glauben an Druck

Im Eidgenössischen Bundesamt für Strassen, das die Zulassungsvorschriften erarbeitet, herrscht auch heute noch die Meinung vor, ohne gesetzlichen Zwang würde die Mehrheit der Werke keine umweltverträglicheren Motorräder konstruieren. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kam 1995 in einem umstrittenen Arbeitspapier zum Schluss, motorisierte Zweiräder verursachten rund 15mal höhere Folgekosten (Unfälle, Schadstoffe, Lärmschutz, Stras-senbau usw.) als Personenwagen und schlug eine deutlich höhere Besteuerung vor.
Zur Umweltverträglichkeit gehört auch die Lärmentwicklung. Die Schweiz erliess im Oktober 1982 die damals weltweit strengsten Lärmgrenzwerte für Motorräder. Heute gelten in immer mehr westlichen Industriestaaten ähnliche Beschränkungen. Unbelastete Beobachter könnten zum Schluss kommen, die Werke hätten sich dank der Schweizer Gesetzgebung jahrelang auf solche Erfordernisse vorbereiten können.
Die Wirklichkeit aber ist eine andere: Statt technisch einwandfreie Lösungen zu suchen, änderten viele Hersteller nachträglich und mit einfachen Mitteln ihre Modelle für den Schweizer Markt Im Bestreben, mit geringen Kosten die Zulassung zu schaffen, wurden Auspuffanlagen und
Ansaugkanäle mit Blenden versehen oder nachträglich Drehzahlbegrenzer eingebaut
Dies verringerte, wie angestrebt, die für die Lärmmessung wichtige Nenndrehzahl, bei der die höchste PS-Leistung erreicht wird, umgekehrt aber auch teilweise dramatisch die Motorleistung der Schweizer Versionen. Supersportler wie die Honda RC45, original mehr als 100 PS kräftig, leisteten hierzulande um 45 PS. Einzylinder-125er, die ungedrosselt mehr als 140 km/h schnell sind, verendeten bei weniger als 100 km/h.
Um nicht Kunden zu verlieren, entdrosselten Händler die verkauften Maschinen; Umbauteile lagen bei vielen Importeuren auf Abruf bereit, offiziell für den Export bestimmt. Benachteiligt waren Hersteller wie BMW, die einwandfreie Lösungen anzubieten versuchten und etwa mit angepassten Nockenwellen, umgerüsteter Bordelektronik oder speziellen Auspuffanlagen arbeiteten. In solchen Fällen wurde die Entdrosselung wegen der nötigen Originalteile teurer, was Kunden oft vom Kauf abhielt.

Motorräder werden leiser

Erst seit in den EU-Staaten (deren Grenzwerte die Schweiz im Oktober 1995 übernahm) und weiteren Nationen der Lärm von Motorrädern ebenfalls reglementiert wird, bemühen sich die Hersteller vermehrt um technisch saubere Lösungen. Der EU-Markt mit jährlich um 650 000 verkauften Neumotorrädem bietet mehr Anreiz zur Entwicklung von Umwelttechnologien als der Alleingang eines Landes, in dem zur Mitte der 80er Jahre jährlich um 30 000 Einheiten und 1997 weniger als 20 000 Stück (ohne Roller) verkauft wurden. Motorräder sind heute erheblich leiser als vor zehn Jahren: Höchstens 80 dB(A) laut darf eine Maschine mit mehr als 175 ccm sein.
Bei manchen Modellen werden zwar noch immer Tricks wie überlange Getriebe-oder Antriebsübersetzungen angewandt, insgesamt bemühen sich die Hersteller jedoch um tatsächlich leisere Produkte. Dabei steht nicht im Vordergrund, Lärm zu mindern, sondern ihn zum Beispiel durch die Vermeidung ungewollter Vibrationen nicht erst entstehen zu lassen.

 

VFR 800 mit Kat: Honda hat lange gezögert

 

Motorradfahrer kommen aus einer älter werdenden Mittelschicht

Hubraumgrosse Motorräder dienen heute vor allem als Freizeitgerate, weniger als Transportmittel. Der durchschnittliche Motorradfahrer in der Schweiz legt heute mit seinem Zweirad jährlich um 5000 bis 10 000 km zurück, und er rekrutiertsich zunehmend aus einem älter werdenden (Durchschnittsalter um 35 Jahre) und gut verdienenden Mittelstand, aus einer Schicht also, die sich als Autobesitzer längst an den geregelten Kat gewöhnt haben. Darum werden die Hersteller langfristig nicht vermeiden können, ihn wenigstens in Modellen ab der mittleren Preisklasse als Standard einzubauen. Die Technologie ist bekannt, grössere Stückzahlen tragen zur Kostenverringerung bei, und immer mehr Kunden fordern ihn: Schon als BMW den geregelten erst als Option gegen Aufpreis anbot, wollten ihn mehr als 50 Prozent der Besteller. Heute macht das Werk jährlich Rekordumsätze. ■

 

 

Grenzwerte – Lärm wie EU

Seit dem 1. Oktober 1995 wird für die Typenprüfung von Motorrädern auch in der Schweiz die Lärm-Messmethode nach der europäischen Norm ECE R40 angewandt. Dabei wird das Motorrad mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h (oder drei Viertel der vom Hersteller angegebenen Drehzahl, bei der die höchste Leistung erreicht wird) an eine 20 Meter lange Messstrecke herangefahren. In der Mitte dieser Strecke, in einer Distanz von 7,5 Metern, ist 1,20 Meter über Boden ein Mikrofon angebracht, mit dem der Lärmpegel erfasst wird. Motorräder mit mehr als 175 ccm Hubraum und mindestens fünf Gängen durchfahren die Messstrecke je viermal im zweiten und dritten Gang sowie in beiden Richtungen. Das arithmetische Mittel dieser insgesamt acht Messungen, abzüglich einer Messtoleranz von 1 dB(A), ergibt den Lärmwert, der 80 dB(A) nicht überschreiten darf. Für Motorräder mit 80 ccm bis 175 ccm gelten 77 dB(A), wobei der Höchstwert aus vier Durchfahrten (im dritten Gang) abzüglich Messtoleranz ausschlaggebend ist. Kategorie-F-Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h dürfen nicht lauter als 73 dB(A) sein. D. M.

Überblick über die Überprüfung
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