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Klassenkampf

Ein aufregendes Pistenabenteuer auf Reisen kann ganz einfach sein. Auf der letzten Einzylinderenduro ihrer Art – der SWM SD 640 Super Dual X.

Preisfrage: Warum sind alle Teleskope, die nach intelligentem Leben suchen, von der Erde weggerichtet? Vielleicht weil wir zu sehr nach dem Haben jagen, statt zu sein. Was ich damit meine? Zum Beispiel die SWM SD 640 Super Dual X. Eine Reiseenduro ohne Schnickschnack: 54 PS und 55 Nm, 210 /270 cm Federweg, Motorschutzblech, 18/21-Zoll- Räder, Offroad-ABS, Koffersystem, ein Gepäckträger nicht aus Blumendraht gemacht, Sturzbügel, Nebellampen, Touringwindschild, Hauptständer, bis zu 400 Kilometer Reichweite – und das Wichtigste: die SWM bringt lediglich 169 Kilo trocken auf die Waage.

 

Im Vergleich zu ihr sind heute nahezu alle Mitbewerber jenseits der 200 Kilogramm. Die neue BMW F 850 GS hat jetzt sogar zwölf Kilo mehr Speck auf den Rippen. Schlank ist sie also, reisetauglich, voll ausgestattet und sie verfügt über ein immenses Offroad-Potenzial. Dennoch schlägt die italienische Reiseenduro keine Verkaufsrekorde. Mit der Intelligenz auf Erden ist es also so eine Sache, denn leichtere Töff bieten ja unbestritten mehr Fahrspass …

R.I.P.: Honda XL, Suzuki DR, Yamaha XT

Der Wandel vollzog sich schleichend. Einst verkauften sich leichte Einzylinder mit übersichtlichem Hubraum, geringem Gewicht und langen Federwegen wie geschnitten Brot. Doch dann entschieden die Hersteller, die robusten Reise-Offroader mit immer mehr Luxus zu garnieren und sie in Richtung Strassentauglichkeit zu trimmen. So schrumpften die Federwege, während die Tonnage und der Hubraum massiv anwuchsen. Der andere Evolutionszweig brachte zeitgleich immer kompromisslosere Hardenduros mit ellenlangen Federwegen, gigantischen Sitzhöhen und Literleistungen hervor. Deren Reisetauglichkeit tendiert nahezu gegen Null.

 

Im Premiumsegment sorgt dagegen eine ganze Reihe von Fahrerassistenzsystemen dafür, dass die Spitzenleistung überhaupt beherrschund nutzbar ist. Doch bei den heutigen Reiseenduros kommt Bequemlichkeit vor Abenteuer: Tempomat, Quickshifter, Sitzheizung, ein semiaktives Fahrwerk, Smartphone-Kopplung, Funkschlüssel – immer kompliziertere Technik macht die fettleibigen Stelzentourer zu komplizierten fahrenden Computerservern. Was kommt als Nächstes? 200 PS … zwei Liter Hubraum, ausklappbare Wäschespinne, Chemieklo, Satellitenschüssel, GPS-gesteuerte Sitzheizung?

Marketinggeschwafel…

…ist nicht so meins, aber der Royal-Enfield-Präsident Siddhartha Lal hat es zur Vorstellung der ersten indischen Reiseenduro, der Himalayan, auf den Punkt gebracht: «Die grossen Adventure- Tourer, die derzeit dieses Segment dominieren, sind zu schwer, extrem kompliziert, einschüchternd und nicht wirklich für dieses Umfeld geschaffen. » Recht hat er. Offroad-Kompetenz ist das eine, kompetent zu erscheinen, etwas anderes. Der Wortteil Duro hat ja was mit «hart» zu tun, nicht mit Luxus. Dem echten Reiseenduristen wie auch dem Töff-Globetrotter stellt sich da zwangsläufig die Frage, ob immer mehr auch immer glücklicher macht.

 

Diesem Leitgedanken ist TÖFF bei diesem Härtetest, welcher sich über 3000 Kilometer und über 10 Tage hinzog, nachgegangen. Voll beladen mit Campingequipment – eine 1400 Kilometer lange Autobahnetappe, Fernstrassen, schnelle Kurven auf welligem Asphalt, Schlagloch- und schwierige Bergpisten sowie Zweipersonenbetrieb inklusive. Es geht also richtig zur Sache mit Tagesetappen, wo man am Abend mit zitternden Armen sein Zelt aufrichtet – oder im Hotel mit der stinkenden Unterwäsche unter der Dusche steht. Es gilt herauszufinden, ob ein moderner, 9760 Franken günstiger Enduro-Single das Zeug hat, gegen die teure, zweizylindrige Konkurrenz auf Reisen anzustinken.

Einzylinder-Reiseenduro

Das klingt doch zunächst einmal nach Verzicht, nach brettharten Sitzbänken und eingeschlafenen Händen, nach spartanischer Ausstattung und Weichplastikdesign. Es treiben uns im Vorfeld Fragen um: Ist die Ausstattung zu spartanisch, der Reisekomfort auf Autobahnfahrten zu schlecht? Ist ihr Motor zu schwach, ihr Einsatzzweck zu speziell? Dann die Überraschung: SWM bietet sogar einen ordentlichen Soziusplatz samt einem brauchbaren Koffersystem. Die von Givi gefertigten 33-Liter-Hartschalen mit schicker Alublende sind robust, klappern nicht und sind sogar wahlweise als Toplader benutzbar. Zwei Drohnen und eine Kameraausrüstung im Gepäck sind jedoch eine Menge Krempel – des Journalisten Fluch ist für die SWM aber kein Problem: Die hochgezogenen Sturzbügel eignen sich prima, um zusätzliche Stofftaschen anzubringen.

Klassenkampf «Alltag und Autobahn»

Noch immer liegt Albanien recht unzugänglich: Man kann nicht schnell aufs Motorrad steigen und mal rüberfahren, aber die italienischen Häfen lassen sich per Autostrada erreichen. 700 Autobahnkilometer waren früher eine Tortur auf einem Einzylindertöff. Erstaunen auch hier: Mit tourentauglicher Sitzposition sowie ordentlichem Windschutz überzeugt die SWM ihre Besatzung. Sogar ihr spritziger Motor kommt gut mit gesetzeskonformen 130 km/h und mehr klar. Der 600er-Single auf Basis der verblichenen Husqvarna TE 630 inszeniert den Drehzahlanstieg mit Vehemenz und ordentlichem Leistungszuwachs. Auf kurvigen Landstrassen verhilft dies zum intensiven Spass am Angasen. Kein Vergleich zum zäh hochdrehenden Single der Yamaha XT-660-Generation. Vibrieren kann die SWM auch besser, eingeschlafene Hände waren aber nicht zu beklagen.

 

Zwischenfazit: Einzylinder bleibt halt Einzylinder. An die Luxus-Benchmarks, welche die zweizylindrige Premiumklasse auf Langstrecken setzt, kommt die Super Dual nicht ran, aber die Autobahnetappe war dennoch locker zu bewältigen. Dagegen hat sich die Super Dual X auf Kurzstrecken und im Stadtverkehr als ein viel wendigerer, flinker, spassiger und leichter zu rangierender Töff präsentiert als jeder Zweizylinder. Unentschieden also. Ein guter Testauftakt …

Klassenkampf in den Büschen

Aprilia Capo Nord Rallye Honda Africa Twin, BMW R 1200 GS Rallye – unser Testrevier Albanien ist schon seit Jahren eine Referenz, bei der es hart zugeht. Motorradfahren hat hier selbst auf den asphaltierten Strecken etwas von einem Action-Film: Ständig warten Überraschungen … Gullydeckel fehlen, riesige Schlaglöcher tun sich plötzlich auf, abgerutschte Abschnitte geben unverhohlen den Blick in Abgründe frei, verwilderte Hunde schnappen meuchlings nach den Beinen …

 

Und erst die Pisten: Steilanstiege, Geröll, rutschiger Laterit, Felsabsätze, Furten. Auf der SH25 nach Gjirokastër oder dem schwierigen Schotterpass von Piskovë nach Çorovodë heisst es sogar mit beherztem Zug am Kabel das Vorderrad der vollbeladenen Fuhre über Felstreppen lupfen oder über Absätze springen und durchs Geröll ackern. Der 600er-Single entpuppt sich hier als wahres Bijou. Toll, wie der aus tiefsten Drehzahlen und ohne abzusterben, seine Besatzung mit einem beherzten Gasstoss aus den kniffligsten Fahrsituationen rettet. Weich geht der Single ans Gas. Er ballert sich nach alter XT-500-Sitte mit einer unaufgeregten Souveränität durchs Gelände, sodass jede Steilpassage zur lockeren Übung wird. Leistung und Sitzposition sind nicht ganz so kompromisslos wie bei einer KTM. Das kommt dem Wanderenduristen sehr entgegen.

 

Auch die Geometrie stimmt, das Motorrad ist perfekt austariert, so kann die SWM ihren Gewichtsvorteil (von 60 Kilo z.B. zu einer BMW F 800 GS) voll zur Geltung bringen. Wo bleischwere Zweizylinder ihre Piloten ins Schwitzen bringen, fängt mit ihr der Spass erst richtig an. Leider ist die USD-Gabel anfangs nicht über jede Kritik erhaben – die SWM quittiert schnelle Impulse stocksteif und macht die ersten Kilometer von Borsh nach Brataj zu einem Herumgeeiere. Nach einer kleinen Einlaufzeit und ein paar Klicks an der voll einstellbaren Gabel legt sich diese Unart aber und die SWM zieht zielgenau ihre Bahn über die Felstreppen. Allerdings würden wir für den Einpersonenbetrieb mit leichtem Gepäck mittels eines Gabelöls geringerer Viskosität die Super Dual X fürs Endurowandern noch etwas softer abstimmen. Die Kurvenhatz auf der letzten Rille und 20-Meter-Sprünge mit Gepäck im Gelände sind für den echten Globetrotter auf grosser Tour eh keine Option.

 

Epilog: Da, wo der Spass zu Hause ist … Was auf Pisten zählt, sind vor allem Handling und Gewicht. In Albanien zeigt die SWM SD 640 Super Dual X der zweizylindrigen Konkurrenz endgültig die lange Nase. Zwar haben wir in den letzten Jahren die Testpisten auch mit den Zweizylindern genussvoll befahren, jedoch noch nie mit dieser Leichtigkeit. Die SWM wird im Zielgebiet (und um das geht es ja beim Reisen) zum Abräumer. Für ein paar Komforteinschränkungen auf der Anreise entschädigt dieses Bike da, wo der Spass wirklich zu Hause ist, über die Massen. Die Super Dual erscheint wie eine XT-660, wie sie hätte sein sollen. Sie strömt robust-kernige Entschleunigung aus, jedoch ohne je langweilig zu sein. Mit ihrem quirligen Motor und ansprechender Optik versprüht sie echtes Abenteuer- und Wüsten flair. Und dass Einzylinder heutzutage Verzicht bedeuten, ist nichts als ein verblasstes Klischee.

Fazit

Ihre Performance ist erfrischend. Und die SWM 640 SD Super Dual X ist voll alltagstauglich und auf Pisten ein Genuss. Deshalb ist die SWM die erste Wahl für Leute, die ihre Reiseträume auf anspruchsvollen Pisten ausleben wollen. Die Konkurrenz hat nichts mehr Vergleichbares im Programm – und schon gar nicht mit diesem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis.

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