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Offroadparadies Schweden

Magic Motor Experience

Südschweden ist geprägt von sanften Hügeln, riesigen Wäldern und Tausenden Seen. Und obwohl die Asphaltbänder nur selten eine Kurve zeichnen, ist die ­Region ein wahres Töffparadies – zumindest abseits der befestigten Strassen. Tausende Kilometer Schotterpisten ziehen sich hier durch die Wälder. Wir waren vier Tage mit Magic Motor Experience unterwegs und hatten sehr viel Spass.

«Muss man da etwas Ausschalten?», fragt einer der englischen Journalistenkollegen, als er auf der Yamaha XT 660 R Platz nimmt. «ABS, Traktionskontrolle, irgend sowas?» Mats schüttelt den Kopf: «Nein, nein, da gibt’s nichts», antwortet der freundliche Schwede in einwandfreiem ­Englisch. Und das ist auch gut so, auf den Pisten und Trails, die wir in den nächsten Tagen befahren werden, wäre nämlich weder das eine, noch das andere sonderlich hilfreich.

 

Wir stehen vor einem typisch rot-weiss lackierten schwedischen Haus – dazu später mehr – in Bolmsö. Bolmsö liegt ­etwas im Landesinnern auf halber Strecke zwischen den beiden Grossstädten Göteborg und Malmö. Hier befindet sich die Basis von «Magic Motor Experience», genauso wie das Zuhause von Gründer, Besitzer, Reiseleiter und Tourguide Mats Jonsson. Mats hat uns, zwei englische Kollegen – sie betreiben zusammen den Youtube-Kanal Motogeo (ihr Video zum Trip findet ihr hier)– und mich, eingeladen, um uns einen Einblick in eine seiner Touren zu gewährleisten.

Orientierungslosigkeit

Von Bolmsö starten wir zunächst nordwärts auf einer gut ausgebauten Schotterstrasse. Während sich die Halbinsel um Bolmsö noch relativ offen gibt, tauchen wir schon kurze Zeit später ein in dichte Nadelwälder. Weil nun auch der Schotter tiefer wird und das sichere Vorwärtskommen, zumindest in der Angewöhnungsphase – ich bin nur relativ selten abseits der Strasse unterwegs –, ziemlich viel Konzentration erfordert, geht die Orientierung schlagartig flöten. Und nicht nur mir geht es so – bei einem Zwischenstopp werden wir uns einig, dass uns Mats auch einfach im Kreis herumführen könnte, ohne dass einer von uns irgendwas mitkriegen würde.

 

Wälder, Seen, ein paar einsame Häuser – rot-weiss natürlich – noch etwas mehr Wald und noch ein paar Seen. In etwa so gestalten sich die nächsten Stunden. Das tut dem Spass aber überhaupt keinen Abbruch. Mit dem Vertrauen, auch ins schwimmende Vorderrad, kommt nun nämlich der Spass am Offroad-Fahren zurück. Mit durchdrehenden Hinterrädern driften wir um die Bögen und freuen uns wie kleine Kinder, wenn wir dem Hintermann eine schöne Ladung Staub vor die Brille katapultieren können. Eine wahre Freude.

Beim Kaffeestop eine gute Weile später, fällt mir auf, dass wir seit unserem Start in Bolmsö praktisch nie ein Auto gekreuzt haben. Und auch bei unserem Rastplatz – wunderschön an einem der vielen Seen gelegen, sind wir ganz alleine. Schön, diese Einsamkeit. Begründet liegt sie in der kleinen Bevölkerungsdichte Schwedens. Schweden ist rund 450 000 Quadratkilometer gross und hat etwas über zehn Millionen Einwohner. Das ergibt in etwa 23 Einwohner pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: Die Schweiz hat im Schnitt 205 Einwohner pro qm. Weil aber die meisten der 10 Millionen Schweden in grösseren Städten wie Stockholm, Göteborg oder Malmö leben, dürfte die Bevölkerungsdichte hier im Landesinnern Südschwedens noch um einiges tiefer sein, ganz zum Vergnügen der töfffahrenden Zunft.

Farbe als Statussymbol

Und doch treffen wir immer wieder auf kleine Siedlungen, meist bestehend aus drei bis fünf Häusern und ein, zwei Scheunen. Praktisch alle rot bemalt, mit einigen Ausnahmen in Gelb. «Die rote Farbe stammt aus den Eisenminen, ­früher bemalten die reichen Leute ihre Häuser damit. Als Statussymbol, und um das Holz vor Umwelteinflüssen zu schützen. Als dann die Einkommen stiegen, zog auch der Rest der Bevölkerung nach. Das passte den Reichen natürlich gar nicht, worauf sie ihre Häuser mit gelber Farbe bemalten», erklärt Mats die bunten Häuser. Das Leben eines Einbrechers muss in Schweden ziemlich einfach sein …

 

Zurück zu den Siedlungen. Die sind nämlich der Grund für dieses Schotterparadies. Sie müssen alle erschlossen werden, sind aber eigentlich zu klein, dass sich teure ­Asphaltstrassen lohnen, ergo: Schotter. Wir sind dankbar.

Amerika?

Wir fahren weiter Richtung Unterkunft für die Nacht. Und weil man mit Journalisten aufgrund der ständigen Foto­grafie- und Videomacherei immer etwas langsamer vorwärts kommt als normal, nehmen wir das letzte Teilstück auf einer der schnellen Asphaltstrassen in Angriff. Das ist zwar fahrerisch im Vergleich zu Schotter und Dreck relativ langweilig, sorgt aber für ganz spezielle Eindrücke.

 

Irgendwie erinnert mich das Ganze etwas an die USA. Eine top­ausgebaute, sehr breite Strasse, gesäumt von scheinbar undurchdringbarer Wildnis. Und wenn dann mal eine Ortschaft – oder auch nur eine Tankstelle mit Shop – auftaucht, gibt es rundum Dutzende Parkplätze. Nicht nur die Amis, nein, auch die Schweden haben Platz ohne Ende. Ein spezielles, aber schönes Gefühl für jemanden, der sich sonst eher auf dem gros­sen «Parkplatz» A1 zwischen Winterthur und Zürich tummelt.

 

Und auch beim Hotel angekommen, setzt sich die Einsamkeit respektive Freiheit fort. Das schöne Haus liegt scheinbar alleine an einem, zumindest für die Region, relativ gros­sen See. Vom Zimmer geniesst man einen wunderschönen Ausblick auf das komplett ruhige Wasser und die umliegenden Wälder, und auch bei Nacht sind nur einige vereinzelte Lichter am anderen Ufer auszumachen. So wird der Sternenhimmel zum Spektakel.

Michel aus Lönneberga

Nach einer erholsamen Nacht und einem hervorragenden Frühstück starten wir gestärkt in Tag zwei. Dieser gibt sich zumindest wettertechnisch aber erst mal bescheiden. Während die Sonne die Landschaft am vergangenen Abend noch in gold-gelbes Licht tauchte, dominiert nun Grau und leichter Nieselregen. Sei’s drum. Schon kurz nach dem Hotel ­erwarten uns wieder die wunderbaren Schotterpisten, und weil der Regen nicht allzu stark ist, hat das Wetter kaum ­einen Einfluss auf unseren Fahrspass. Auch Tag zwei ist ­dominiert von dichten Wäldern. Unterbrochen werden diese nur von den Überresten eines verheerenden Sturms 2005. Der hatte damals hektarweise Wald dem Erdboden gleich ­gemacht. Zwar wurde dieser wieder aufgeforstet, doch da die jungen Bäume noch relativ klein sind, ist das Ausmass dieses Unwetters bis heute ersichtlich.

 

Nach gut zwei Stunden Fahrt gelangen wir nach Katthult. Hier wurden in den frühen 70er-Jahren die «Michel»-Filme gedreht, das Filmset wurde seither erhalten und kann besichtigt werden. Astrid Lindgrens zweitbekannteste Schöpfung – gleich hinter Pippi Langstrumpf – heisst im schwedischen Original übrigens nicht Michel, sondern Emil. In den deutschen Übersetzungen wurde der Name geändert, um ­Verwechslungen mit Emil aus Erich Kästners «Emil und die Detektive» zu vermeiden.

Legal, illegal, Sch****Egal

Nach dem kurzen Sightseeing- und Kaffeestop geht’s zunächst auf den bekannten Schotterstrassen weiter. Schon nach kurzer Zeit biegen wir aber ein auf eine der sogenannten «Tractor-Roads», wobei das Wort «Road», also Strasse, hier nicht wirklich angebracht ist. Diese Pfade werden eigentlich nur von Landmaschinen benutzt, meistens um gefällte Bäume aus dem Wald zu ziehen. So bestehen sie denn meist auch einfach aus zwei mehr oder weniger tiefen Fahrrinnen. Diese Passagen sind technisch etwas anspruchsvoller, machen aber einen Heidenspass. Genauso wie einige der Single-Trails, die wir später am Nachmittag noch befahren.

 

Für wen die genau errichtet wurden, und ob man darauf wirklich mit dem Töff fahren dürfte, bleibt mir verschlossen. Gemäss Mats nimmt die schwedische Polizei das Ganze aber sowieso relativ locker: «Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass sie uns sagen, dass wir hier nicht durchfahren dürfen und wir einen anderen Weg nehmen sollen», meint er. Das setzte natürlich voraus, dass wir überhaupt ­irgendwann mal einem Gesetzeshüter begegnen würden, doch die sind hier noch seltener als alle anderen Menschen, und schon denen begegnen wir relativ selten. Wahre Freiheit eben.

Alles aus Glas

Etwas später kommen wir müde, aber überglücklich bei ­unserem Nachtquartier im kleinen Städtchen Kosta an. Kosta ist bekannt für die Glasbläserei. Während in der Fa­brik früher vor allem Gläser für den Alltagsgebrauch hergestellt wurden, spezialisierte sich das Unternehmen mit Namen «Kosta Boda» mittlerweile auf Kunstglas. Auch unser Hotel, das «Kosta Boda Art Hotel», gehört zum Konzern und nimmt das Thema sehr stilsicher auf. Vom Bad im Zimmer über Kunst im Restaurant, bis hin zur Glas-Bar, die komplett aus Glas gebaut ist, zieht sich der Werkstoff durchs ganze Hotel. Die Fabrik gegenüber kann gratis besucht werden.

Königliche Pizza

Tag drei starten wir mit einer kurzen Besichtigung der Glasbläserei, wer Lust und Zeit hat, kann sich hier sogar selbst versuchen. Das überlassen wir aber den Tagestouristen und machen uns auf, zurück auf die Pisten, ab in die Wälder. Fahrerisch hat sich nicht viel verändert, trotzdem ist jederzeit höchste Konzentration gefordert. Die Beschaffenheit der Schotterstrassen ändert nämlich schnell. Im einen Moment ist der Untergrund noch relativ plattgefahren und der Schotter nur einige Zentimeter tief, im nächsten schon schwimmt das Vorderrad in tiefem Kies. Das ist nicht ganz ohne, aber nach etwas Eingewöhnung und entsprechender Geschwindigkeit, auch für Offroad-Neulinge durchaus machbar.

 

Ein Highlight abseits der Strasse erwartet uns kurz nach dem Mittagsstopp in einer Pizzeria / Dönerbude. Wobei eigentlich schon diese Pizzeria ein kleines Highlight ist – es heisst, hier habe sich auch der schwedische König höchstpersönlich auf einer seiner Reisen gestärkt. Ganz sicher, ob diese Story wirklich stimmt, sind wir uns allerdings nicht.

 

Egal, weiter zum echten Highlight: dem Autofriedhof mitten im Wald. Ein Paradies für Fans alter Rostlauben, die Hölle für jeden Umweltschützer … Über 150 Autowracks stehen hier im Wald nahe der Ortschaft Ryd. Gesammelt und deponiert wurden sie von Ake, oder «Ake vom Moor», wie ihn die Einheimischen auch nannten.

 

Ake kaufte das Grundstück 1935 zum Torfabbau. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich Ake allerdings auf eine andere Einnahmequelle. Er sammelte am Strassenrand stehen gelassene Autos ein, brachte sie auf sein Gelände und schlachtete sie für Ersatzteile aus, die er vor Ort verkaufte. Übrig blieben nur die Karosserien. Nachdem Ake 1992 ins Altersheim zog, wurde lange über den Umgang mit diesem Schrottplatz im Wald debattiert. 2001 entschied die Gemeinde dann, das Grundstück zu ­belassen wie es ist, und die Natur sich selbst ihr ­Territorium zurückgewinnen zu lassen.

Ein Paradies für Wild-Liebhaber

Nach weiteren rund 100 Kilometern wunderbaren Offroaddüsens und atemberaubender Ausblicke auf die scheinbar omnipräsenten Seen erreichen wir unsere letzte Unterkunft auf diesem Trip. Dieses Hotel ist eine Wucht. Gelegen – wie könnte es auch anders sein – an einem See, erinnert es an ein altes Herrschaftshaus, mit zusätzlichen, das Hauptgebäude flankierenden, Häusern für Gäste und Bedienstete und ­einem idyllischen Innenhof. Geführt wird es von einer charmanten Dame mittleren Alters. Und im Gespräch mit der ursprünglich aus Holland stammenden Chefin wird schnell klar, hier steckt viel Herzblut drin.

 

Der Eindruck zieht sich beim Essen nahtlos weiter, einen so guten Hirsch hatte ich schon lange nicht mehr. Apropos Essen: Die schwedische Küche wird dominiert von Fleisch und Kartoffeln. Bei den vielen Wäldern nicht weiter überraschend, steht auch des Öfteren – hervorragendes – Wild auf der Speisekarte. Was betreffend Kulinarik etwas überrascht, ist, dass Fisch trotz der riesigen Küste und der über 100’000 Seen in Schweden kaum eine Rolle spielt.

Nur für starke Mägen

Mit Ausnahme von «Surströmming». Einem schwedischen Traditionsgericht, das wir auf Wunsch der englischen Kollegen am Ende unserer Reise am nächsten Tag ausprobieren. Übersetzt heisst das soviel wie «saurer Hering». Wer nun aber etwas wie einen Sauerbraten oder Ähnliches erwartet, täuscht sich gewaltig. Surströmming besteht einfach aus ­Hering, der in Salzwasser eingelegt, und in eine Dose gepackt wird – für mehrere Monate! Hier noch ein kleiner Tipp an alle, die diese Spezialität einmal probieren möchten: Niemals (!), wirklich niemals (!), eine Dose Surströmming in einem geschlossenen Raum öffnen – zumindest, wenn das Haus nicht sowieso in den folgenden Tagen abgerissen wird …

 

Die «sichere» Methode, den Hering aus seiner Dose zu befreien, ist draussen, entweder unter laufendem Wasser, oder in einem Wasserbad, nur so ist der Gestank einigermassen erträglich. Gegessen wird der Hering dann mit einer Art Hüttenkäse und rohen Zwiebeln …

 

Wer jetzt – trotz der Hering-Story – lust auf ein grandios organisiertes Schotter-Abenteuer in Schweden bekommen hat, sollte sich die Website von Magic Motor Experience mal anschauen. Mitbringen muss man für diese Reisen eigentlich nur ein Töff-Billet, vorzugsweise etwas Offroad-Erfahrung und zumindest grundlegende Englischkenntnisse. Und nein, das ist keine Werbung, und nein, wir kriegen von Mats auch kein Geld dafür: Uns hat dieser Trip in Schweden einfach so viel Spass gemacht, dass wir ihn unseren Lesern, also euch, mit bestem Gewissen empfehlen können.

Überblick über die Überprüfung
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