Moto Guzzi V85 TT 2024 in prova
Nach fünf erfolgreichen Jahren wurde die Moto Guzzi V85 TT für 2024 erstmals umfangreich überarbeitet. Schön, dass sie dabei ihre klassischen Moto-Guzzi-Werte beibehalten hat.
In den ersten beiden Modelljahren verfügte die Moto Guzzi V85 TT über glatte 80 PS und 80 Nm. Doch dann kam 2021 die Euro-5-Norm und der traditionelle, luftgekühlte 850er musste etwas Federn lassen, nämlich vier Pferde. Im Zuge der Anpassung auf Euro 5+ wurde jetzt nicht nur der Motor, sondern auch einiges drumherum überarbeitet und aufgefrischt.
Das Ziel war, antriebsseitig die ursprüngliche Leistung wiederzuerlangen und als Supplement noch eine Schippe Drehmoment über den gesamten Drehzahlbereich draufzulegen. Aus diesem Grund zählt der V2 jetzt neu auf eine variable Ventilsteuerung, und für feineren Motorenlauf sind nun Klopfsensoren eingebaut.
Die TT und die Travel verfügen serienmässig über schräglagenabhängige, mehrfach einstell- beziehungsweise auch ausschaltbare Sicherheitsassistenten (ABS, Traktionskontrolle), ein Tempomat, verschiedene Fahrmodi sowie ein neues TFT-Farbdisplay im 5-Zoll-Format. Ob es dies alles in einer traditionellen, luftgekühlten Guzzi braucht, sei mal dahingestellt. Doch im Jahr 2024 scheint danach verlangt zu werden, und es kann so weit schon mal Entwarnung gegeben werden, dass die beschriebene Elektronikarmada den urchigen, traditionellen Guzzi-Charakter nicht verwässert.
Klassische Formen aufgefrischt
Die Designer wollten im Zuge der optischen Auffrischung auf keinen Fall die beliebte, zeitlose Formensprache der V85 zu sehr antasten. Am meisten stechen die neuen Scheinwerferträger sowie die Soziushaltegriffe ins Auge, welche nun im Aluminium-Druckgussverfahren hergestellt werden und damit etwas Gewicht einsparen. Doch genug der Theorie, jetzt wird gefahren!
Der Wohlfühlfaktor umgarnt einem schon ab den ersten Kilometern, das ist echt bemerkenswert. Bequem, nicht zu hoch und trotzdem fahraktiv sitzend, funktioniert diese Guzzi in der Stadt, auf dem Land sowie auf der Autobahn absolut unkompliziert und gleichzeitig charakterstark. Der tiefe, aber nicht zu laute Motorensound lässt auch bei höheren Drehzahlen keine Hektik aufkommen, und trotz der überschaubaren Leistung vermittelt das Triebwerk gefühlte Souveränität. Vergessen sind die Bedenken bezüglich zu viel elektronischem Klimbim … Einfach draufsitzen und im Fahrmodus Road immer der Nase nach dahinbollern.
Rennen? Kann sie!
Das tönt jetzt alles sehr gemütlich und entspannt, doch die Moto Guzzi V85 TT ist nicht nur ein Cruiser, sie kann auch rennen. Insbesondere in den teilweise engen Bergstrassen des andalusischen Hinterlandes garantiert das leichte Handling unverfälschten Fahrspass. Präzises, zielgenaues Einlenken mit wenig Kraftaufwand sowie zügiges Umlenken in Wechselkurven sind ihre Paradedisziplin.
Klar, sie kommt mit den 80 PS nicht wie ein Pfeil aus jeder Kurve geschossen, doch subjektiv fehlt kaum Leistung, zumindest nicht im Solobetrieb. Denn der überarbeitete Motor profitiert speziell in diesem Geläuf vom nun spürbar breiteren Drehmomentband sowie von der fein zu dosierenden Gasannahme.
Als Gegenpool zum Vorwärtsdrang hält die fein dosierbare Bremsanlage die 230 kg Fahrzeug- plus meine 80 kg Biomasse bei Bedarf äusserst zuverlässig und unnachgiebig im Zaum. Auch die Wahl der optisch eher offroadig erscheinenden Michelin-Anakee-Adventure-Bereifung passt hervorragend zu dieser Reiseenduro der Mittelklasse. Das neutrale Fahrverhalten sowie der gute Grip auf Asphalt lassen die V85 TT so weit in Schräglage tauchen, dass das eine oder andere Mal sogar die Fussrasten Markierungen auf der Strasse hinterlassen. Nur zwei, drei Grad mehr Schräglagenfreiheit würden (auf der letzten Rille gefahren) nicht schaden.
Die Qualitäten auf unbefestigter Strasse konnten wir (noch) nicht testen, doch mittelschwere Offroad-Passagen dürften kaum ein Problem darstellen.
Reisen? Kann sie noch besser!
Kommen wir zur Kernkompetenz einer Reiseenduro, nämlich lange Strecken unter die Räder nehmen. Einzigartig in dieser Leistungsklasse ist und bleibt der Kardanantrieb, so muss nie eine Kette gespannt, geschmiert oder ausgetauscht werden. Der Modellzusatz TT seht für «Tutto Terreno», was die Vielseitigkeit dieser Guzzi ziemlich exakt trifft.
Um zügig Meter zu machen, nimmt man auf langer Reise gelegentlich auch mal eine Autobahnetappe in Angriff und geniesst die Unterstützung des Tempomaten. Da zeigt sich der verbesserte Windschutz im Vergleich zum Vorgängermodell, insbesondere, wenn man sich für die höhere Scheibe der Travel-Version (für die TT als Zubehör verfügbar) entscheidet.
Apropos Windschild: Dieses lässt sich bequem während der Fahrt mit einer Hand in mehreren Positionen hoch- und runterschieben. So einfach soll das sein! Die Geradeauslaufstabilität bei höherem Tempo gibt auch mit Zusatzkoffern absolut keinen Anlass zur Kritik. So lässt es sich bei einem ausgedehnten Fahrtag kommod im Sattel aushalten. Ein weiteres Langstreckenplus ist das für diese Klasse sehr üppige Tankvolumen von 23 Litern, denn damit kommt man gut und gerne 400 Kilometer weit.
Einstellbar
Erwähnenswert ist auch das harmonisch abgestimmte, in weiten Bereichen einstellbare Fahrwerk, welches hinten zudem über ein Handrad zur einfachen Einstellung der Federvorspannung verfügt. So kann man bequem und ohne Werkzeug das Federbein der Beladung entsprechend anpassen.
Am Ende des langen Fahrtages bleibt festzuhalten, dass sich der eingangs erwähnte Wohlfühlfaktor ohne Abnutzungserscheinungen bis zum Abend klar gehalten hat. Geblieben ist auch die Erkenntnis des breit gefächerten Einsatzgebietes sowie die einfache und gleichzeitig unterhaltsame Handhabung dieses Multitools aus Mandello del Lario.