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Moto Guzzi V100 Mandello im Test mit Video

Moto Guzzi V100 Mandello Test

Die Vorfreude auf die ersten Meter mit der von Grund auf neuen Moto Guzzi V100 Mandello mit wassergekühltem V2 und 115 PS war riesig. Wir wurden nicht enttäuscht.

Mit dem neuen Marken-Flaggschiff Moto Guzzi V100 Mandello wagt Piaggio den ganz grossen Schritt in die Neuzeit. Und diese ist ohne Wasserkühlung, eine Leistung von deutlich über 100 PS sowie ein umfassendes Elektronikpaket unmöglich zu erreichen.

 

Dass die topmoderne Technik von Motor und Fahrwerk der Moto Guzzi V100 nicht in Mandello, sondern von den erfahrenen Hightech-Ingenieuren von Aprilia in Noale von Grund auf neu ausgearbeitet wurde, ist ein offenes Geheimnis. Denn in Mandello wird heute nicht mehr konstruiert, sondern nur noch zusammengebaut, doch das tut der Qualität keinen Abbruch.

 

Moto Guzzi V100 Mandello Test

Die S-Version kommt mit semiaktivem Fahrwerk.

 

Um es vorwegzunehmen: Der erste ausgedehnte Fahrtag mit der brandneuen V100 Mandello S mit 115 PS, semi-aktivem Öhlins-EC-2.0-Fahrwerk und elektronischer Vollpackung in den Bergen rund um Mandello war schlichtweg atemberaubend und nichts anderes als eine Offenbarung für weitere 100 Jahre Eigenständigkeit und Charakterstärke der Marke.

Guzzi-Hüftschwung und jede Menge Power

Die erfolgreiche Umsetzung des von Piaggio-Boss Michele Colannino persönlich vorgegebenen Konzepts, einen modernen, tourentauglichen Roadster mit klassischer Eleganz zu bauen, zeigt sich bereits beim Aufsitzen: Die Ergonomie ist entspannt, mit grossem Kniewinkel, nur leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper und locker auf dem nicht überbreiten Rohrlenker ruhenden Händen.

 

Sämtliche Hebeleien sind individuell einstellbar, die Sitzbank gibt’s in drei verschiedenen Höhen. Und erstmals gibt’s bei einer Guzzi dank den um 90° gedrehten Zylinderköpfen auch für gross gewachsene Fahrer null Platzprobleme im Kniebereich.

 

Nach dem Druck aufs Knöpfchen gibt’s den legendären Guzzi-Seitwärts-Hüftschwung, aber dieser fällt dank geringer Kurbelwellenschwungmasse und Ausgleichswellen nur noch harmlos aus. Satt brummt’s und poltert’s hinten aus dem elegant-kurzen Endschalldämpfer der 2-in-1-Auspuffanlage, in höheren Regionen erinnert das kernige Röhren der V100 an einen brünstigen Hirsch.

 

Moto Guzzi V100 Mandello Test

 

Ab Standgas steht verwertbare Leistung zur ­Verfügung. Im Touring-, Strassen- und Regenmodus geht der quergestellte V2 weich ans Gas, Staus und Zuckeltempo werden so in Kombination mit der leichtgängigen Kupplung und der aufrechten Sitz­position absolut stressfrei bewältigt. Ab 3000/min bis 7000/min wird dann auf einer herrlichen Drehmomentwelle geritten, praktisch vibrationsfrei und mit einem ab der dritten Gangstufe perfekt funktionierenden Quickshifter (rauf und runter).

 

Der aggressivere Sportmodus kommt fast nie zum Einsatz, zumal die Spreizung zwischen den einzelnen Modi eher gering ist und jeder für sich individuell konfigurierbar ist. Von 7000 bis 10 000/min gibt’s dann noch ein Power-­Feuerwerk, wie es eine Guzzi noch nie entfacht hat, aber irgendwie passt der «Attacke-Modus» nicht zum Charakter dieses eleganten, stilvollen Motorrads.

Stabil wie ein Baumstamm

Zu einem starken Charakter passt kein wackliges, nervöses Fahrwerk. Der unten offene Stahl-Gitterrohrrahmen mit mittragendem Motor und die auf guten Geradeauslauf getrimmte Geometrie verleihen der V100 diese legendäre «Baumstamm-Stabilität», die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

 

Dennoch darf die modernste Guzzi aller Zeiten keinesfalls als unhandlich bezeichnet werden. Wer sie frei laufen lässt und ihr keine nervösen Knieschleifer-Zwängereien zumutet, kommt ausgesprochen locker auch um engste Ecken. Unbedingt erwähnt werden muss dabei die extrem lange hintere Einarmschwinge, die nur dank dem im Vergleich zum V-85-TT-Motor 103 mm (!) kürzeren Motor möglich wurde. Der integrierte Kardan arbeitet so fast reaktionsfrei, Unterschiede zu einem Kettenantrieb sind kaum zu spüren.

Vom Roadster zum Tourer

Das der S-Version vorbehaltene, bei Modellen anderer Marken bereits hochgepriesene semi-aktive Öhlins-Fahrwerk funktioniert auch in der Moto Guzzi hervorragend. Die Grundabstimmung ist überraschend straff, kann aber in der Vorspannung manuell (hinten per Handrad) und der Dämpfung elektronisch individuell angepasst werden.

 

Die Standardversion der V100 Mandello – mit 16 390 Franken deutlich günstiger als die S-Version für 18 990 Franken – konnten wir bei der Präsen­tation in Mandello leider nicht fahren. Bei ihr sind vorn und hinten konventionelle Federelemente von Kayaba eingebaut, die beide in Vorspannung und Zugstufendämpfung anpassbar sind. Den Quickshifter gibt’s nur optional, die Zweifarbenlackierung bleibt der S-Version vorbehalten.

 

Moto Guzzi V100 Mandello Test

 

Tourenfreunde werden sich daran erfreuen, dass die Zubehörkoffer (30/28 l) je einen Integralhelm aufnehmen können und in zwei Handgriffen an den unter der Soziusbank unauffällig vorinstallierten Aufnahmen befestigt werden können. Den zusätzlichen Hilfsrahmen aus dem Zubehörprogramm braucht nur, wer auch noch das 37-l-Topcase anbauen will. Ebenfalls als Option gibt’s Heizgriffe, diverse beheizbare Sättel, eine höhere Touringscheibe, Zusatzscheinwerfer, Zentralständer, Motorschutzbügel und die ­Piaggio-typische MIA-Connectivity.

Winglets: Sinnvoll oder nur Gadget?

Als erstes Motorrad der Welt zieren die Moto Guzzi V100 beidseits des Tanks elektronisch gesteuerte Spoiler, die Windverwirbelungen und Regentropfen von den Flanken des Piloten fernhalten sollen. Diese aerodynamischen «Flaps» sind in allen Fahrmodi im Menü ein- und ausschaltbar; standardmässig öffnen sie sich im Touringsmodus bei 70 km/h, im Regenmodus sind sie sogar permanent geöffnet.

 

Bringt dieser beträchtliche elektronische Aufwand was? Ich persönlich habe bei trockenen Verhältnissen, angenehmen Temperaturen und Tempi bis 120 km/h wenig bis nix gespürt und – ich will da ehrlich sein – die Dinger irgendwann komplett ausgeschaltet, weil mich das ewige Öffnen und Schliessen ab­gelenkt und irgendwann genervt hat. Aber wer weiss: Vielleicht gibt’s in nicht allzu ferner Zeit solche «Flaps» serienmässig in Elefantenohrengrösse, dann wäre das ewige Problem der nassen Hosen bei Regen endgültig ad acta gelegt.

 

Moto Guzzi V100 Mandello Test

 

Viel wichtiger waren mir bei der Präsentation die in Wirkung und Dosierbarkeit hervorragenden Bremsen, das gut ablesbare und vom Lenker aus intuitiv steuer­bare 5-Zoll-TFT-Cockpit, die nicht zu weich gepolsterte Sitzbank und die zumindest optisch hohe Verarbeitungsqualität und Wertigkeit der V100 Mandello S. Ob sie das mit Zuverlässigkeit paaren kann, wird die Zukunft zeigen. Genauso, ob sie die Herzen der alten und einer neuen Kundschaft erreichen kann. Das Zeug dazu hat sie. Auf jeden Fall.

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