Moto Hyper naked a confronto
Die Kategorie der sehr sportlichen Naked-Bikes mit 160 und mehr PS wird immer stärker. 2020 kamen zu den Hyper-Naked-Bikes mit der Ducati Streetfighter V4 und der Kawasaki Z H2 zwei weitere Vertreterinnen hinzu. Wir haben sie mit der auf 2020 ebenfalls neuen KTM 1290 Super Duke R und der 2019 überarbeiteten Aprilia Tuono V4 1100 Factory verglichen.
Eins vorweg: Dieser Vergleichstest ist nicht wie andere Vergleichstests. Aufgrund der Corona-Krise sind alle Rennstrecken geschlossen und auch auf der Strasse ist noch grössere Vorsicht geboten als sonst schon immer, soll doch das Gesundheitssystem nicht noch zusätzlich belastet werden. Das heisst nicht, dass wir sonst so fahren würden, dass wir Unfälle riskieren, aber mehr Vorsicht geht fast immer. Wir haben unseren ersten Vergleichstest der neuen Hyper-Naked-Bikes darum mit Bewilligung der Polizei und unter Einhaltung der Hygiene- und Abstands-Vorschriften des Bundes auf den Strassen im Albis-Gebiet unweit unserer Redaktion durchgeführt.
Natürlich konnten wir so die Grenzbereiche dieser Maschinen nichtmal annähernd ausloten. Und doch reicht es, um die Qualitäten der vier Kontrahentinnen im legalen Strasseneinsatz miteinander zu vergleichen. Um auch ihr sportliches Potenzial ausloten zu können, werden wir sie später im Jahr – sofern Corona es zulässt – aber natürlich noch über die Rennstrecke treiben.
763 PS
Zurück zu unseren Testbikes. Zusammen bringen diese vier Hyper-Naked-Bikes stramme 763 PS mit! Schon aufgrund der schieren Leistung, aber auch aufgrund der verbauten Komponenten, der Ausstattung und der Preise zählen wir sie zu den Hyper-Naked-Bikes. Das auch, weil sie noch einen Schritt weiter gehen, als beispielsweise eine Yamaha MT-10 oder eine BMW S 1000 R.
Die Schwächste ist in diesem Test nämlich die Aprilia mit für ein Naked-Bike mächtigen 175 PS. Die KTM 1290 Super Duke R holt aus ihrem V2 180 PS heraus, während die Kawasaki Z H2 aus ihrem Kompressor-geladenen R4 glatte 200 Pferde presst. Den Vogel schiesst die Ducati Streetfighter V4 S mit sagenhaften 208 PS ab. Zur Erinnerung es handelt sich hierbei um Naked-Bikes und nicht um für die Rennstrecke perfektionierte Superbikes. Ein Fakt, den wir uns noch mehrmals vor Augen führen werden müssen.
83’720 Franken
Dass diese Leistungen, diese Rahmen und Fahrwerke sowie alle weiteren hochwertigen Komponenten nicht gratis sind ist klar. Alles in allem stehen an diesem Mittwochmorgen denn auch sage und schreibe 83’720 Franken Töff unweit von Aeugst am Albis zu den ersten Fotofahrten bereit. Am günstigsten ist dabei die Kawasaki Z H2, in rotem Rahmen gibt’s sie für 19’390 Franken. Am zweit-wenigsten Geld muss man für die KTM 1290 Super Duke R ausgeben, sie gibt’s ab 19’990 Franken. Wobei der bei unserer Testmaschine verbaute Blipper zum kupplungsfreien hoch- und runterschalten nochmal mit knapp 460 Franken zu Buche schlägt. Die Konkurrentinnen kommen allesamt ab Werk mit diesem Feature.
Für die beiden Italienerinnen müssen jeweils indes über 20’000 Franken locker gemacht werden. Wobei diese zwei im Gegensatz zu den beiden ersteren auch mit einem semi-aktiven Fahrwerk kommen. Angesichts dessen sind die 20’345 Franken, die Aprilia für die Tuono V4 1100 Factory verlangt ein äusserst fairer Preis. Bei Ducati kostet’s, wie bei S-Versionen der Bologneser üblich, mit 23’995 Franken doch etwas mehr als bei der Konkurrenz. Die Standard-Streetfighter V4 – ohne semi-aktives Fahrwerk – gibt’s indes auch „bereits“ ab 20’995 Franken.
Überangebot
Das die wichtigsten Grund-Infos. Doch wie fahren sich die vier, und worin unterscheiden sie sich? Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass diese vier Hyper-Naked-Bikes für den Strasseneinsatz bei STVO-konformen Tempi massiv „overpowered“ sind. Also bedeutend mehr Leistung – nicht nur motorisch, sondern auch in praktisch allen anderen Belangen – bieten, als man hier jemals brauchen würde.
Am meisten fällt dies in Punkto Leistungscharakteristik bei Aprilia und Ducati auf. Da diese beiden im oberen Drehzahlbereich im Vergleich nochmal richtig zulegen und länger übersetzt sind, kommt man auf der Strasse gar nie da rein. Ist man doch im zweiten Gang schon lange bei 80, wenn’s so richtig losgehen würde. Natürlich bieten auch Kawasaki und KTM bedeutend mehr Power als nötig wäre. Da diese zwei aber auch schon im Drehzahlkeller richtig Druck machen und etwas kürzer übersetzt sind, fällt’s etwas weniger auf.
Brav
Die grösste motorische „Überraschung“ stellt in diesem Vergleich die Kawasaki Z H2 dar. Der Reihenvierzylinder mit Kompressor gibt sich im unteren Drehzahlbereich so zahm, nimmt so sanft Gas an, ist angenehm Leise und läuft so extrem ruhig, dass sogar Innerorts-Fahrten mit ihm zum wahren Genuss werden. Gleichzeitig bietet er aber in allen Drehzahlbereichen einen scheinbar unendlichen Druck. Egal ob im 3. oder im 6. Gang aus dem 50er beschleunigt wird, es geht immer brachial vorwärts.
Auch die KTM 1290 Super Duke R gibt sich erstaunlich angenehm. War die erste Super Duke wirklich noch ein Biest, das durch 30er Zonen nur so durchgeruckelt ist, gehen auch langsame Passagen mit der neuen Österreicherin ganz sanft von der Hand. Und auch die Lautstärke hält sich bei entsprechender Fahrweise im Rahmen. Auch der riesige V2 hat aber nichts von seiner Macht eingebüsst, reisst man auf, geht’s vorwärts, immer und überall, begleitet vom dumpfen V2-Ballern und einigen – angenehmen, weil nicht hochfrequenten – Vibrationen.
Frech
Im Gegensatz dazu geben sich die beiden Italienerinnen etwas weniger brav. Zum einen, weil sie etwas mehr Drehzahl benötigen, um sauber zu laufen. Vor allem bei der Aprilia hackt’s in zu tiefen Drehzahlen in der Kette. Die Ducati ist da zugänglicher, braucht aber auch einige Touren, um wirklich schön geschmeidig zu laufen. Viel auffälliger ist jedoch die Lautstärke. Sowohl Aprilia als auch Ducati sind – und das fällt bei einer Produktion in Corona-Zeiten noch deutlich stärker auf – extrem laut. Wer mit einer der beiden unterwegs ist, wird gehört.
Auch in Sachen Leistungsentfaltung und Übersetzung sind die zwei klar mehr in Richtung Rennsport ausgelegt. Sie brauchen etwas mehr Drehzahl, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, drücken im höheren Bereich aber dann dermassen ab, dass man auf der Strecke auch Supersportler das Fürchten lehren kann.
Racing bis Touring
In Sachen Handling, Fahrdynamik und präferiertem Einsatzspektrum können wir die vier Bikes auf einer Skala einordnen. Einer Skala von Racing bis Touring. Während die Kawasaki Z H2 – trotz riesigem sportlichem Potenzial – mit ihrer aufrechten Sitzposition und ihrer einfachen Fahrbarkeit auch im Alltag oder auf gemütlichen Touren überzeugt, ist die Aprilia Tuono V4 1100 Factory klar auf die Rennstrecke und die sehr sportliche Landstrassen-Hatz ausgerichtet. Dazwischen positionieren sich die beiden anderen, die KTM 1290 Super Duke R etwas näher an der Kawasaki – auch vor allem aufgrund der Sitzposition – und die Ducati Streetfighter V4 S etwas näher bei der Aprilia.
Mit allen lässt’s sich auch gemütlich fahren, und doch merkt man vor allem den beiden Italienerinnen an, dass sie mehr möchten. Und, dass sie mehr können ist klar. Das gilt natürlich auch für Kawasaki und KTM wenn auch ihnen ihre aufrechtere Sitzposition, die auf der Strasse ein Komfort-Vorteil darstellt, auf der Rennstrecke in die Quere kommen könnte. Das sind aber lediglich Spekulationen, die wir (hoffentlich) im August auf dem Anneau du Rhin genauer unter die Lupe nehmen können.
Wer mehr zu diesen vier Hyper-Naked-Bikes, und wie sie gegeneinander abschneiden, wissen möchte, findet die ausführlichen Vergleichstests, inklusive aller technischen Daten und Messungen in der nächsten Ausgabe vom TÖFF-Magazin und der übernächsten Ausgabe von Moto Sport Schweiz.