Ducati Scrambler Desert Sled
Dass Ducati einen Retro-Klassiker als Hommage an die legendären XT-500-Zeiten konzipiert hat und nicht Yamaha, ist schon erstaunlich. Doch man darf sich noch weiter wundern.
Es gibt kaum etwas, das zurzeit nicht auf alt getrimmt wird. BMW, Ducati, Triumph… immer mehr angesagte Töffmodelle sehen aus wie ihre Ahnen vor einem halben Jahrhundert und alle basieren auf einem cleveren Baukastenprinzip. Nur die Optik ist retro, alle haben vernünftige Bremsen, ABS, Einspritzung und eine zeitgemässe Elektrik. Doch stellen wir lieber erst mal klar: Dinge, die heute niemand mehr herstellt, nennt man Antiquitäten, nicht ganz so alte Sachen Vintage. Dinge, die nur vorgeben, von gestern zu sein, heissen Retro. Und da arbeitet die Industrie vor allem mit Emotionen – mit dem Gefühl von Freiheit und Jugend. Warum wohl sonst finden sich in Designer-Wohnungen digitale Radios, gestaltet, als wären sie alte Röhrengeräte? Auch die CD wird wieder von Vinylplatten abgelöst und vor den angesagtesten Szene-Cafés parken neue Motorräder, welche an die Stylings vergangener Zeiten anknüpfen. Triumph legte bereits vor 16 Jahren erfolgreich ihren historischen Verkaufsschlager Bonneville wieder auf. Mit durchschlagendem Erfolg.Huldigung an die Generation XT Dass allerdings eine Retro-Ducati 2017das Erbe einer Yamaha-Ikone antritt, das hätte man vor 40 Jahren für einen schlechten Witz gehalten. Wir erinnern uns: Die legendäre XT 500 war das erste Grossserienmotorrad, das sich für Reise und Offroad gleichermassen eignete. Sie wurde zum Symbol einer ganzen Generation, die sich aufmachte, die entferntesten, einsamsten und schönsten Flecken der Welt zu erobern. Sie war es, die Yamaha als innovative Marke überhaupt erst etablierte. Und nun das: Nicht Yamaha, sondern Ducati lässt diesen Meilenstein der Töffgeschichte wieder real werden. Die neue Scrambler Desert Sled ist von schlanker Statur, kernig, schlicht in der Linienführung, voller Kraft und Historie mit rustikaler, nachvollziehbarer Technik – so wie es auch die berühmte XT 500 war. Sie verfügt über keine Traktionskontrolle oder anderen Elektronik-Firlefanz. Diese Retro-Ducati sieht aus wie eine zweizylindrige Wiedergeburt dieser japanischen Mutter aller Enduros. Selbst das homologierte Lampenschutzgitter und das Design der Schutzbleche scheinen die alten XT-Zeiten nachzuzeichnen. Doch eine schnöde XT-Schummelei ist die Retro-Ducati weiss Gott nicht. Denn auch die Bologneser haben ihre Offroad-Vergangenheit: 1969 gewann die Marke mit einem Scrambler die Baja Rally. Und auch dieses hauseigene Vorbild strahlt, wie alle anderen Töff-Idole der 70er-Jahre, etwas beruhigend Simples aus: Das Echte und Ursprüngliche.Ducatis Retro-Familie ist ein Verkaufsschlager. Und die neue, dem kernigen Offroad-Spass gewidmete Version Scrambler Desert Sled soll diesen Erfolg weiterführen. Sie löst die Urban Enduro ab. Technisch unterscheidet sie sich von dieser vor allem durch ihren verstärkten Rahmen, die stabilere und längere Schwinge, Speichenräder, ein grosses 19-Zoll-Vorderrad, 200 Millimeter Federweg und offroad-taugliche Fussrasten mit herausnehmbaren Gummieinsätzen. Auch das stabile Motorschutzblech aus Aluminium sorgt für den kernigen Auftritt vor dem Stammcafé. Die Kayaba-Upside-Down-Gabel ist übrigens voll einstellbar, das Monofederbein in Zugstufendämpfung und Federvorspannung. Durch die längeren Federelemente wuchs der Radstand auf 1505 mm und die Sitzhöhe auf 860 mm. Das Motormanagement des luft- / ölgekühlten Desmodue-Zweizylinder-L-Motors musste aufgrund der neuen Euro-4-Homologation überarbeitet werden. Aber auch die Gasgriffübersetzung ist nun progressiv gestaltet, was das knackige Ansprechverhalten im unteren Drehzahlbereich für den Geländeeinsatz weicher machen soll. Der Motor ist übrigens, anders als beim Vorgängermodell Urban Enduro, kein tragendes Chassis-Element mehr. Zwei Seitenplatten verstärken die Schwingenaufnahme. Links am Rahmen ist ein Zusatzrohr eingeschweisst worden, weil dort grössere Kräfte auftreten als rechts am Rahmen (auf dieser Seite befindet sich das Mono-Federbein). Die Schwinge ist nun 25 mm länger. Und zwar, um die gewünschten 200 mm Federweg am Hinterrad verwirklichen zu können.Ein Hoch auf die alten Zeiten Bart statt Elektrorasur, Gelassenheit statt Geschwindigkeit, puristisch statt luxuriös… Und ein Hoch auf das Abenteuer Natur mit menschenfreundlichen Enduros statt halsbrecherische Kicks mit brettharten Crossern. Aber kann die Desert Sled wirklich mehr als nur urwüchsig aussehen? Schwingen wir uns also endlich aufs Motorrad. Im Hinterland der südspanischen Küstenstadt Almeria geht es unter widrigen Wetterbedingungen zunächst auf die Strasse. Es regnet in Strömen. Gute Testbedingungen also, um dem quirligen Desmodue in Sachen linearer Leistungsentfaltung und weicher Gasannahme auf den Zahn zu fühlen. Los gehts: Beim Ein- kuppeln und Zappen durch das Getriebe gibt sichdie Ducati unkompliziert. Auch die leichtgängige, gut dosierbare Kupplung überzeugt. Fahrwerk, Sitzkomfort und Ergonomie sind ganz wie bei den historischen Scrambler-Vorbildern auf einfachstes Handling und gute Tourentauglichkeit getrimmt. Kaum zu glauben, mit welcher Leichtigkeit und Agilität sich die Retro-Ducati auf gewundenen Asphalt- strecken bewegen lässt. Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage? Fehlanzeige. Vollbremsungen auf Rollsplitt? Dank ABS kinderleicht. Druckpunkt und Dosierbarkeit der Einscheibenbremse? Gut. Doch schafft die Retro-Enduro auch den Spagat zwischen schön aussehen und suhlen im Dreck? Biegen wir mal ab ins Gelände…Von wegen Schummelei… Das gabs noch nie bei der Präsentation eines Retro-Bikes: Weichsand, loses Geröll und Schlamm. Bereits nach wenigen Kilometern gehen mehrere Journalisten zu Boden. Am Motorrad liegts nicht. Die Desert Sled zieht stoisch ihre Bahn, selbst durch die heftigsten Weichsandpassagen. Schön sanft geht die Duc ans Gas. Kinderleicht lässt sich die Desert Sled sliden und selbst grobes Geröll kann sie nicht schrecken. Die 200 Millimeter Federweg machen sich gut für erbauliche Enduro-Wanderungen und erlauben sogar kleine Sprünge. Auch das ABS lässt sich für den Offroad-Einsatz deaktivieren.Ergo: Diese Desert Sled ist anders als die Retro- Scrambler der Mitbewerber. Ihre Kombination aus guten Strassen- und ernstzunehmenden Geländeeigenschaften ist neu für ein Motorrad dieses Genres. Mit ihr kann man wirklich über Pisten jagen. Und aufgepeppt mit Reisezubehör, hätte sie sogar das Zeug zum stylischen Weltenbummler.
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ConclusioneDie geballte Ladung Fun fürs Promenieren in der Stadt und kernige Enduro-Abenteuer auf Schotterpisten gleichermassen. Die Ducati Scrambler Desert Sled ist keine Mogelpackung. Mit ihr kann man richtig ins Gelände. Und da gibt sie sich menschenfreundlich wie ihre historischen Vorbilder. Die Italiener holen also ungeniert die alte XT-500-Fangemeinde ab, die vor staubigen Pisten nicht zurückschreckt – und alle anderen gleich dazu: Junge Töffeinsteiger, Hipster, Frauen… Und das, wohlgemerkt, ohne die eigene Marken-Philosophie zu verraten. |
Ducati Scrambler Desert SledPreis: ab 12 890 FrankenHubraum: 803 ccmLeistung: 75 PS bei 8250/minDrehmoment: 68 Nm bei 7750/minGewicht: 191 kg trockenSitzhöhe: 860 mmTankvolumen: 13,5 lImport & Info: www.ducati.chMotor: 90-Grad-L2-Viertakter, 2 Ventile/Zylinder (desmodromisch), Nasskupplung, 6 Gänge, Endantrieb über Kette.Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen, USD-Gabel (46 mm, voll einstellbar), Alu-Zweiarmschwinge mit seitlich angebrachtem, direkt angelenktem Monofederbein (Basis und Zugstufe einstellbar), vorn Einzelscheibe (330 mm) mit Vierkolbenzange, hinten Einzelscheibe (245 mm) mit Einkolben- zange. Reifen 110/80-18 und 180/55-17.Plus: Gasannahme, keine Lastwechsel, tolles Handling, erstaunliche GeländeeigenschaftenMinus: Spritzschutz Kotflügel hinten, Digitales Tachodisplay wirkt unpassendBekleidung des Testers: Helm: Arai Tour-X4, 599.-, redpointgear.ch; Jacke: Modeka Glasgow 429.-, Hose: Rokker Sartso, 329.-, shop.motocorner.ch |