Die neue Harley Sportster S – erster Test mit Video
Harley-Davidson lanciert die komplett neue Sportster S. Die «S» stellt dabei zugleich das neue Spitzenmodell der schon bald noch weiter anwachsenden Modellfamilie dar.
Die neue Harley-Davidson Sportster S wird in der Schweiz ab kommendem Herbst ab 17’850 Franken erhältlich sein. Kürzlich sind wir sie in Essen (D) erstmals gefahren und waren positiv überrascht. Optisch erinnert die neue Sportster kaum an ihre Vorfahrinnen, die bis im letzten Jahr erhältlichen Sportster-Modelle mit jeweils 883 bzw. 1203 Kubikzentimetern Hubraum.
Nicht nur optisch: Das ganze Motorrad ist ein komplett neues. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Es sei jedoch gleich festgehalten, dass die bisherigen Sportster in den USA durchaus noch erhältlich sind, fortan aber in der Kategorie der Cruiser. In Europa fielen sie aus dem Programm, da Harley-Davidson sie nicht auf die Euro-5-Abgasnorm aufrüsten wollte. Dafür sollen schon bald weitere Modelle der neuen Sportster-Generation folgen.
Revolution Max 1250T
Die Sportster S wird auch vom Revolution Max-V2-Motor angetrieben, der bereits in der Enduro Pan America steckt. Allerdings wurden die Zylinder für die Sportster S weitgehend überarbeitet, so dass es sich gewissermassen bereits wieder um einen neuen Motor handelt. So heisst er denn vollständig auch Revolution Max 1250T. Das „T“ am Ende des Namens steht dabei für „Torque“, also Drehmoment. Die Überarbeitung hatte zum Ziel, bei 30 PS weniger Höchstleistung und minimal geringerem Spitzendrehmoment eine möglichst gleichmässig verlaufende und dabei immer noch hohe Drehmomentlinie zu erzielen. So drückt dieses neue, wassergekühlte 60-Grad-Triebwerk nicht 152 PS, sondern 122 PS (90 kW) bei 7500/min ab und das Drehmoment liegt bei maximal 125 Newtonmetern bei 6000/min (Pan America: 128 Nm bei 6750/min). Auch der Sound ist neu: rauer und nicht mehr so bassig-dumpf bollernd.
Viel Power, wenig Gewicht
Nicht nur, wer sich gedanklich noch bei den 68 PS und den 96 Nm der bisherigen grossen Sportster 1200 befindet, wird beim Losdüsen mit der neuen Sportster S erfreut und beeindruckt sein. Zwar gibt es heute viele Bikes mit wesentlich mehr als 120+ PS, aber für Harley-Verhältnisse ist das schon eine andere Welt. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem Gewicht der Sportster S, das fahrfertig lediglich 228 Kilo beträgt. Diese Kombination macht aus der neuen Sportster wahrhaft ein sportliches Motorrad. Die früheren Sportster-Modelle brachten es zuletzt auf 252 bis 274 Kilo. Die bis zu 46 Kilo Differenz spürt man bereits beim Aufrichten vom Seitenständer…
Sechs statt fünf Gänge
Ein präzise zu schaltendes und gut abgestimmtes Sechsganggetriebe (die bisherigen Sportster verfügten über fünf Gänge) mit leicht zu bedienender Rutschkupplung sowie ein für Harley typischer Riemen leiten die Power ans Hinterrad. Elektronische Helfer wie schräglagenabhängige Traktionskontrolle und mehrere Fahrmodi (Road, Sport, Rain und zwei individuelle) runden das Thema Vortrieb auf einem topmodernen Stand ab.
Handling
Bekanntlich ist Power alleine aber nicht viel wert, wenn es am Fahrwerk oder den Bremsen scheitert. Hierzu als erstes gleich die Entwarnung: Ja, der ungewöhnlich fette Vorderrad-Pneu mit 160 Millimetern ist kein Spassverderber. Harley hat zusammen mit Dunlop eigens für die neue Sporty einen Pneu mit zur Reifenmitte relativ spitz zulaufender Lauffläche entwickelt, der eben trotz seiner „cruiserigen“ Dimensionen eine sportliche Agilität gewährleisten kann. Vorder- und Hinterreifen (180 mm) sorgen für ein harmonisches Fahrverhalten, auch wenn es nicht geradeaus geht.
Nehmerqualitäten
Bei der Federung allerdings sind beinahe schon extreme Nehmerqualitäten gefragt. Zumindest, wenn man die Sportster S auf Strassen mit vielen Unebenheiten wie Schlaglöchern, Schachtdeckeln, Pflastersteinen oder vielen Flicken fährt – ganz zu schweigen von den immer weiter verbreiteten „Speedbumps“. Mit einem Federweg von lediglich 51 Millimetern schickt das hintere extrem straff abgestimmte Zentralfederbein (Showa) alles ungefiltert an den Fahrer weiter. Die vordere USD-Gabel (Showa) hat da mit 92 mm zwar minim mehr Federwegreserven, doch ist sie genauso straff. Auf Strassen mit tadellosem Asphalt dagegen fährt sich die neue Sportster S sehr gut und schwingt sich unkompliziert durch weitere wie engere Radien.
Brembo-Einzelscheibe
Beim Verzögern kann man sich insbesondere auf die vordere Einzelscheibe (320 mm) mit Vierkolben-Monobloc-Radial-Festsattel von Brembo verlassen. Sie beisst bei klarem Druckpunkt wohldosierbar und ohne zu giftigen Anfangsbiss bei Bedarf kräftig zu und bringt die Sportster in nützlicher Frist zum Stillstand. Für den Bedarfsfall ist ein schräglagenabhängiges ABS an Bord. Selbst bei sportlicher Fahrweise bleibt also immer alles im grünen Bereich, wobei wir auf unserer Testfahrt durchaus in hügeligem Gebiet unterwegs waren, ohne jedoch einen echten Pass überquert und die Bremsen dabei besonders beansprucht zu haben. Auf eine zweite Bremsscheibe wurde übrigens aus ästhetischen Gründen verzichtet.
Ergonomie: Teil-Revolution
Beim Aufsitzen fühlt man sich sofort wie auf einer Harley-Davidson und einiges ist vertraut. So etwa die vorverlegten Fussrasten oder das schlanke Solo-Polster. Harley-typisch ist es weder zu hart noch zu weich. Der Lenker liegt ebenfalls „natürlich“ zur Hand, doch hier kommt man ins Staunen. Die Lenkergriffe sind für Harley-Verhältnisse dünn ausgefallen und sie präsentieren sich in reinrassigem Gummilook, wenn auch mit „Harley-Davidson“-Schriftzug. Damit nicht genug: Die Schaltereinheiten (identisch mit der neuen Pan America) auf beiden Seiten weisen ungewöhnlich viele Tasten und Knöpfe auf. Etwas vom Auffälligsten ist sicher der links positionierte einzelne Blinkerschalter (statt einem Schalter je Seite). Eine Sensation sind die neuen Hebel für Vorderradbremse und Kupplung, die jetzt einstellbar sind.
Erster Test: bestanden, aber
Das Fazit unserer ersten Testfahrt von knapp 150 Kilometern durch überwiegend urbanes Gebiet mit einem kleineren Anteil auf Landstrassen fällt insgesamt positiv aus. Die Performance lässt nun definitiv keine Fragen mehr darüber offen, wieso man diesem Modell den Namen Sportster gegeben hat. Und gewisse Neuerungen untersteichen den Aspekt der Modernisierung bzw. Zukunftgerichtetheit zusätzlich. Nur die Fahrwerksabstimmung lässt an Ausgewogenheit zu wünschen übrig. Möglicherweise lässt sich aber bereits durch Feintuning an den vorne wie hinten einstellbaren Federelementen etwas erreichen. Das werden wir bei einem weiteren Test herausfinden.
Familienzuwachs erwartet
Ausserdem blicken wir schon gespannt in die Zukunft. Wir rechnen nicht nur mit weiteren Sportster-Varianten, die sich optisch, egonomisch oder fahrwerksseitig unterscheiden, sondern auch hinsichtlich Leistung. Als Anhaltspunkt könnte hier der an der Eicma 2019 angekündigte, aber in der Folge sang- und klanglos verschwundene Roadster namens Bronx dienen. In ihm sollte ebenfalls der Revulution Max-Motor zum Einsatz kommen, allerdings mit lediglich 975 ccm Hubraum…
Alle technischen Daten zur neuen Sportster S
Mehr zu Harley-Davidson: www.harley-davidson.com
Fotos: Francesc Montero, Alessio Barbanti