Wenn man die Welt als Wahn begreift, dann ist Trump normal. Und auch das, was wir im Moment in Nordalbanien treiben, passt irgendwie in diese Kategorie „n‘ bisschen impossible“: Denn Motorradfahren hat hier selbst auf den asphaltierten Strecken etwas von einem Action-Computerspiel: Ständig warten überraschende Hindernisse … Gullydeckel fehlen, riesige Schlaglöcher tun sich plötzlich auf, abgerutschte Strassenabschnitte geben unverholen den Blick in tiefe Schluchten frei, verwilderte Hunde schnappen meuchlings nach den Beinen …Es gibt hier Gegenden und Strassen, die ängstliche Fahrer lieber meiden sollten, da sie es ganz schön in sich haben. Aber was uns nun auf der 150 Kilometer langen Theth-Runde nahe der Stadt Shkodra erwartet, ist von noch gröberem Schrot und Korn. Nicht ohne Grund hat die SH 21 unter den gefährlichsten Strassen der Welt ihren Platz (siehe
www.dangerousroads.org).Gut so, denn der neuen BMW R 1200 GS Rallye soll es bei diesem TÖFF-Härtetest an den Kragen gehen. Schliesslich trägt sie ja das Kürzel Rallye im Namen. Und gemäss BMW soll die Rallye ja im Gelände besser sein, als es je eine Vierventil-GS war. Doch beim TÖFF-Test geht es nicht nur ums Wildern, sondern auch ums Reisen. Und da stellt sich das Gefühl für eine Tourenmaschine auch nur ein, wenn man tatsächlich mit Sack und Pack loszieht. In unserem Fall mit allem, was für eine Camping-Abenteuerreise notwendig ist.
Bavarias Rallye-Rezeptur Der Hauptrahmen in Blau, ein attraktives Tankdekor, der Antriebsstrang in Schwarz, die einteilige Sitzbank in schwarz/weiss, goldfarben lackierte Bremssättel, Kreuzspeichenräder … die wilde Bayerin steht blitzblank und wie bestellt mit komplettem Gepäcksystem, Heizgriffen, Tempomat, Berganfahr-Assistent, GPS und allen notwendigen Papieren für eine Balkanreise im Hof.Doch bei allem Drum und Dran sollte man nicht vergessen: BMW hat für die neue GS-Rallyerezeptur einfach einige Komfortzutaten weggelassen. So kappte man zum Beispiel das für den seriösen Geländeeinsatz viel zu hohe Tourenwindschild, ersetzte das zweiteilige Komfortsofa (unter Hardenduristen boshaft Hämorrhoiden-Kissen genannt) durch eine einteilige, knapp geschnittene Endurositzbank, welche dem Piloten mehr Bewegungsspielraum lässt. Doch die BMW-Ingenieure beliessen es nicht nur bei optischen Retuschen und anderen Kleinigkeiten.Optional gibt es nämlich die Möglichkeit, die Rallye mit 20 Millimeter mehr Federweg und Stollenpneus zu ordern. Und das semiaktive E-Fahrwerk letzter Generation verfügt nun über eine Fahrlageerkennung (der Schräglagensensor fürs Kurven-ABS und die schräglagentaugliche Traktionskontrolle versorgt jetzt auch das E-Fahrwerk mit Daten). Ferner muss man nicht länger die Beladung manuell einstellen (Solo/Solo mit Beladung/mit Sozius). Das System erkennt nun automatisch, wie hoch die Beladung ist und justiert die optimale Vorspannung stufenlos. Manuell kann man allerdings auch eingreifen und die jeweiligen Extremwerte (Min/Max) abrufen. Die geringste Vorspannung kann nützlich sein, wenn man die niedrigste Sitzhöhe sucht, die höchste bringt mehr Bodenfreiheit im Gelände.
Da baumelt was … Reschenpass, 12 Grad Celcius: Da baumelt was und es ist nicht die Seele … Spass beiseite, Pinkelpausen lassen Männern Raum für den Gedankenaustausch. Und mein Reisekollege und Freund Dietmar ist ein Motorradfahrer mit jahrelanger GS-und Offroad-Erfahrung. Und wie es der Zufall will, nennt Dietmar eine nagelneue Rallye sein Eigen. Was also lag da näher, als gemeinsam diese Albanien-Expedition in Angriff zu nehmen? Unsere erste Pippi-Diskussion dreht sich nun darum, wie die enduristischere Komposition der Rallye sich wohl so im Reisealltag und unter Extrembedingungen schlägt.Interessant sind für uns hierbei besonders die Fragen zu Sitzkomfort und Wetterschutz auf Überlandetappen und wie sich das Fahrwerk mit den langen Federwegen im Schräglagenfight schlägt. In Kroatien wartet die weltberühmte und sich spektakulär windende Adria-Magistrale und danach das brennenste aller Rätsel: Wie schlägt sich die Rallye auf kniffligen Pisten?Dietmars nagelneue Rallye verfügt übrigens, im Gegensatz zur TÖFF-Testmaschine, nur über die kürzeren Standard-Federelemente. Dafür blickt er über das kleine Windschild.Wahlmöglichkeiten sind halt angenehmer als Abhängigkeiten! Das hört sich gut an, doch eine Alternative beim Packen der Koffer hat man nicht: Welcher Hotelschläfer bei BMW hat an den Haltenetzen, welche bei einem vertikal klappbaren Koffersystem unabdingbar sind, seine Sparwut ausgelebt? Ja, es gibt Innentaschen, aber als Camper verzichtet man gerne auf diese, weil sie Stauvolumen fressen und man schnell mal auf Ausrüstungsgegenstände zugreifen muss. Und immer wenn das der Fall ist, fällt einem der halbe Kofferinhalt vor die Füsse. Nervig!Und wenn wir schon beim Tadeln sind: Die Ablesbarkeit des Cockpits ist eine Zumutung. Das Display spiegelt im Sonnenlicht. Wenig Begeisterung haben auch das Quietschen der Bremsen und das im Road-Modus in der Zugstufe unterdämpfte Federbein hervorgerufen – das Heck der beladenen GS pumpt immer ein bisschen. Im Dynamic-Modus gibt sich das zwar, allerdings verhärtet sich das Fahrwerk dann auch für die sportliche Gangart auf glattem Asphalt. Und diese Wahl ist auf den schlechten Wegstrecken des Balkans sicher keine befriedigende.Unschön sind dazu die mechanischen Geräusche des Motors unter 2500 Touren. Der optionale, bidirektionale Quickshifter funktioniert zufriedenstellend, er dürfte aber beim Hochschalten ruhig etwas zackiger zu Werke gehen.
Kurvenfight auf der Magistrale Die Adria-Magistrale ist eine der schönsten Küstenstrassen der Welt und erstreckt sich von Ankaran in Slowenien bis nach Ulcinj in Montenegro. Hier heisst es Motormapping Dynamic, Fahrwerkseinstellung Dynamic: Wie die Standard-GS ist auch die Rallye mit dem drehmomentstarken 125 PS Boxermotor unterwegs. Auf dem Weg nach Albanien geniesst man auf der Traumstrasse das bekannt ausgewogene Handling der GS. Aber es sind Unterschiede festzustellen.Dietmars GS mit den kürzeren Federwegen ist beim Tanz auf der letzten Rille etwas im Vorteil. Die Präzision meiner mit den längeren Federwegen ausgestatteten Rallye-Version ist nicht ganz so messerscharf. Nun, die Unterschiede sind nicht gewaltig, aber spürbar. Geht es ums schnelle Umlegen in den hier aufeinanderfolgenden S-Kombinationen, lässt sich die Agilität dank der manuell wählbaren Höhenverstellung des E-Fahrwerks bei beiden merklich steigern: Einfach per Knopfdruck das Heck maximal hochfahren.Ich muss nicht immer im Mittelpunkt stehen, sitzen ist auch okay. Und das lässt sich auf der einteiligen Rallyebank ausdauernd. Anfänglich hatte ich Bedenken, ob es gut ist, die sportive Rallye-Sitzbank für eine 4000-Kilometer-Distanz zu montieren. Zu schlecht waren meine Erfahrungen mit der brettharten Bank der BMW HP2-Enduro. Aber auch in Sachen Windschlid hätte ich mich ruhig für die kurze Version enscheiden können.
Auf Umwegen durch die Albanischen Alpen Showdown im Gelände: Kurz nach der Grenze zu Montenegro, bei Koplik, biegen wir mit Ziel Teth ab. Was manche Ausflugstouristen, die auf mediterranen Mastbetrieb mit Pool-Haltung stehen, in ihren Internet-Blogs jetzt schon als sehr schlechte Strecke beschreiben, ist für uns nur ein laues Aufwärmen für den eigentlichen Aufhänger dieses Härtetests: Die SH21 – nicht ohne Grund hat die unter den gefährlichsten Strassen der Welt ihren Ehrenplatz …Enduro-Modus ein, Traktionkontrolle aus, ABS am Hinterrad aus. Mit eingeschalteter Bremshilfe und Traktionskontrolle ist man zwar auch im Enduromodus sicherer und somit unbeschwerter unterwegs, zumal die Mappings speziell an die Bedingungen auf losem Geröll adaptiert wurden und sogar Drifts zulassen. Jedoch an Felsabsätzen mit einem beherzten Zug am Kabel das Vorderrad lupfen oder über ein kleines Hindernis springen und mit blockiertem Hinterrad in tiefem Geröll sicher zum Stehen kommen, das ist mit aktivierten Assistenzsystemen nicht möglich.Für strahlende Augen sorgen auch die sensibel ansprechenden Federelemente. Beim ersten Sprung zeigt das E-Fahrwerk auf beeindruckende Weise, welche Reserven in ihm stecken. Wer es übertreibt, vernimmt schon mal ein lautes „Klonk“ der auf Block gehenden Gabel. Immerhin schlagen bei der Landung – inklusive Fahrer – fast 320 Kilo ein.Trialeinlagen dagegen bleiben schwierig. Nicht etwa wegen mangelnder Elastizität und Kraft aus dem Drehzahlkeller der Maschine oder irgendwelchen Fahrwerksschwächen. Schuld ist das montierte Standard-Tourenwindschild an meiner GS, welches an Steilhängen nur einen weit vorauseilenden Blick nach vorne erlaubt. Dietmar hat es da besser – das kurze Windschild an seiner Rallye bringt in diesem anspruchsvollen Terrain mit seinen langen und steilen Geröllanstiegen beträchtliche Vorteile.Besser sieht es für mich in Sachen Federungskomfort aus: Die 20 Millimeter extra des aufpreispflichtigen Fahrwerks meiner GS-Rallye erlauben nicht nur höhere Tempi auf unwegsamem Terrain. Sie entschärfen auch so manch knifflige Passage, weil die Räder spürbar besser Bodenkontakt halten und so mehr Grip finden. Mehr Bodenfreiheit gibt es obendrein noch dazu. Auch das Fahren im Stehen auf den serienmässigen, breiteren Enduro-Fussrasten fällt deutlich leichter als bei der Standard-GS – und wenn es heisst „Arsch nach hinten“ kapiert man, warum die einteilige Sitzbank ihre Berechtigung hat.
Jetzt baumelt nix mehr … Sechs Tage später am Ofenpass. Pippipause. Es ist arschkalt – fünf Grad Celcius. Jetzt baumelt nix mehr. Und mit Gedankenaustausch ist auch nix mehr, Dietmar hat sich schon über alle Berge nach Ulm abgesetzt. Herumhirnen ist ja überdies gar nicht mehr nötig: Wenn eine 12er-GS, dann diese! Kein Hang ist ihr zu steil, kein Gelände zu grob, keine Strasse zu kurvig, keine Distanz zu weit. Die R 1200 GS Rallye ist die Empfehlung für alle Einsätze, die ein bisschen nach „Mission Impossible“ klingen.
BMW R 1200 GS RallyePreis: ab 16 100 FrankenHubraum: 1170 ccm Leistung: 125 PS bei 7750/minDrehmoment: 125 Nm bei 6500/minGewicht: 244 kg fahrfertigSitzhöhe: 850/870 mmTankvolumen: 20 lImport & Info: www.bmw-motorrad.chMotor:Luft-/flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, 4 Ventile/Zylinder, Nasskupplung, 6 Gänge, Kardan.Chassis:Stahlrohr-Brückenrahmen, Telelever (37 mm), Paralever-Einarmschwinge mit Zentralfederbein (Dynamic ESA), vorn Doppelscheibenbremse (305 mm) mit radialen Vierkolben-Monobloc-Zangen, hinten Einzelscheibe (276 mm) mit Zweikolbenzange. Reifen 120/70-19 und 1780/60-17. |
Fazit: Die Rallye ist deutlich geländetauglicher ausgelegt als die Standard-GS. Wer mit ihr gemütlich oder sportlich über die Landstrasse fahren will, kommt nach wie vor voll auf seine Kosten. Ein genialer Wurf. Ein Offroad-Vergleichstest gegen die neue KTM 1290 Super Adventure R wird folgen – es bleibt also spannend … |
Infos ALBANIEN Albanien ist ein sicheres und gastfreundliches Reiseland. Die üblichen Vorsichtsmassnahmen auf Reisen reichen völlig aus. Landessprache ist Albanisch, die Währung der Lek, Euros werden aber auch meist anstandslos akzeptiert.Fast überall finden Sie Leute mit Englischkenntnissen. Die schönste Reisezeit ist zwischen Mai und Juni. Teilweise sind die Strassen sehr schlecht. Man muss allzeit mit ungesicherten Baustellen, Bauschutt, fehlenden Gullydeckeln, Fussgängern, Tieren, Fuhrwerken und Rollsplit rechnen. Die Landkarten sind häufig nicht zuverlässig. Albaner sind zum weitaus grössten Teil kundige, aber auch manchmal etwas risikofreudige Autofahrer.Wer Pisten fahren möchte, sollte unbedingt ein dafür geeignetes grob bereiftes Motorrad besitzen sowie Reifenheber, eine Luftpumpe, Flickzeug und ein Ersatz-Reifenventil mitnehmen. Ein kleiner Tankrucksack ist nicht schlecht. Sehr gut bewährt haben sich Modelle mit Seitentaschen (Toura- tech). Für das Gepäck würden wir eine grosse, wasserfeste Gepäckrolle nehmen und Satteltaschen. In grösseren Städten und an den Badeorten und der Küste gibt es sehr gute Hotels. Gute Campingplätze sind dünn gesät.Wir empfehlen den Albanien-Reiseführer vom Hobo-Team; ISBN: 978-3-00-043017-6DER BALKAN ALS TÖFF-TESTREVIER Der Balkan bietet einmalige Bedingungen, um grossen Reiseenduros richtig auf den Zahn fühlen zu können. Bereits 2015 arbeiteten wir uns mit der Aprilia Caponord Rallye von der Mittelmeerküste in das Herz der Albanischen Alpen vor (TÖFF 10/2015). Ein Jahr später absolvierten wir dasselbe mit der neuen Africa Twin (TÖFF 10/2016)DIE THETH-RUNDE Zeitig am Vormittag gehts von Shkodra aus los. Zuvor werden noch der Camel-Bag gefüllt und Süssigkeiten eingekauft. Theth liegt inmitten eines 2630 Hektar grossen Nationalparks. Bergwandern und Klettern sind hier die Haupteinkünfte des (noch) zaghaft wachsenden albanischen Tourismus.Die Strecke vom Abzweig bei Kolpik bis Boge ist asphaltiert und führt meist schnurgerade in ein weites Tal: Die Bebauung lichtet sich. Die Berge erheben sich, rücken näher zusammen. Die höchsten Gipfel der albanischen Alpen erreichen knapp 2700 Meter und sind doch kaum bekannt …Dann endlich: 31 Spitzkehren warten ab der Ortschaft Boge auf uns. Unser Ziel: der Pass Buni i Thores. Am Scheitelpunkt (km 40) auf 1660 Metern beginnt die Schotterpiste.Die Piste windet sich nach Teth (706 m) hinunter. Sie ist in weit besserem Zustand als die ab Theth (km 56) bis ins Kir-Tal. Was manche in ihren Internet-Blogs jetzt schon als sehr schlechte Wegstrecke beschreiben, ist nur ein laues Aufwärmen für den eigentlichen Grund unseres Offroad-Tests. Denn die Beschaffenheit der SH21 ändert sich auf den nächsten Kilometern dramatisch. Die SH21 hat unter den gefährlichsten Strassen der Welt ihren Platz (www.dangerousroads.org).Von den 80 km Distanz bis Shkodra führen 55 km über eine ziemlich üble Felsenpiste. Jeder Zentimeter Bodenfreiheit und Federweg ist hier Gold wert. Tiefe Geröllpassagen, verursacht durch Hangabrutschungen und treppenartige Felsabsätze, fordern Mensch und Maschine einiges ab.Im Blickfeld taucht immer wieder der reissende Fluss im Theth-Tal auf. Es gilt Furten zu durchqueren, um schliesslich (km 91) auf ausgewaschenen Steilpassagen mit losem Geröll einen namenlosen Schotterpass (1220 m) mit grandiosen Bergpanoramen zu erklimmen (km 101). Auf diesen 10 Kilometern kann man nur wenig Verschnauf- bzw. Konzentrationspausen einlegen. Zweifel bei meinem Töffkollegen kommen auf…Danach geht es Felstreppen hinunter. Nachher fahren wir dort unten in der Schlucht. Die Bergrücken fallen hier bis zu 1000 Meter in die Täler, manchmal senkrecht oder gar überhängend. Bei Kilometer 111 erreicht man eine Handvoll Häuser und die Kirche von Kir. Hier beginnt der Asphalt.NÜTZLICHE LINKS http://www.toeff-magazin.ch/reisen/im-fahrtwind/albanien http://www.toeff-magazin.ch/artikel/aprilia_Caponord_Rally |