Ardèche: Sommerverlängerung im Herbst
Die Ardèche ist, wie der ganze Süden Frankreichs, ein Traum. Mit herrlichen Landschaften und Strassen sowie kulinarischen Höhepunkten.
Unser Ziel ist es, einfach mal wegzukommen, dem Alltag zu entfliehen und den „Indian Summer“ in der Ardèche zu spüren. Es ist noch dunkel draussen, als wir das Cabrio an jenem Septembermorgen besteigen und Richtung Les Vans aufbrechen. Mit dabei zum ersten Mal unsere beiden Kawasaki Ws. Es scheint fast, als schauen sie uns vom Anhänger aus fröhlich durch die Heckscheibe an. Da wir so zeitig unterwegs sind, verläuft die Anfahrt vollkommen stressfrei, sodass wir bereits am frühen Nachmittag unsere Unterkunft (www.masdelagarrigue.com) oberhalb von Les Vans erreichen. Thomas und Marina empfangen uns, als wären wir alte Freunde. Und das, obwohl wir uns bis dahin noch nie gesehen, sondern nur gemailt hatten.
Abladen, auspacken, verstauen und ins Appartement einziehen, heisst es an diesem Tag. Danach besteigen Carmen und ich noch einmal das Auto, um in Les Vans einkaufen und ein wenig bummeln zu gehen. Auf diese Art und Weise vergeht der Rest unseres ersten Urlaubstages zügig. Trotz der Anstrengungen von der langen Anreise fühlen wir schon jetzt, dass unser Entspannungsplan Realität werden wird.
Felsiges Labyrinth
Der nächste Morgen beginnt dann auch genauso angenehm, wie der Abend endete. Nach dem Frühstück im Garten machen wir die Mopeds startklar. Auf zuerst ziemlich verschlungenen und mit grauen Trockensteinmauern umrahmten Strassen fahren wir in Richtung Grospierres. Es folgt das felsige Labyrinth des Bois de Païolive, in dem wir aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Die Natur hat hier ganze Arbeit geleistet, und der Mensch hat eine kleine Strasse hindurchgebaut.
Skulpturen aus Kalkstein
Rechts und links neben der einspurigen Fahrbahn sieht man wahre Skulpturen aus Kalkstein, die zusammen mit dem Morgenlicht und den noch immer grünen Bäumen eine fast mystische Atmosphäre erzeugen. Über die Route de la Bastide gelangen wir danach zum ersten Mal hoch hinaus und bekommen einen freien Blick auf den Fluss Ardèche und die umliegende Hügellandschaft. Auch nach vier Monaten ohne Regen zieht einen diese grandiose Natur gnadenlos in ihren Bann. Die Freude steigt bei dem Gedanken, dass alles noch er-fahren zu dürfen.
Pont d’Arc
Nach Sampzon fällt die Strasse in engen Bögen hinunter ins Tal und dann weiter zum Pont d’Arc, unserem ersten längeren Haltepunkt dieses Tages. Der Andrang ist sehr verhalten und der Wasserstand der Ardèche extrem niedrig. Daher schwingen wir nach den obligatorischen Fotos wieder von dannen und folgen der D290 entlang des Flusses. Carmen und ich nehmen uns an diesem Tag viel Zeit, sodass wir die Ausblicke an den verschiedenen Aussichtsplattformen oberhalb des Flusses geniessen können.
Die Kawasakis sorgen für Gesprächsstoff
Gegen Mittag und einige Fotoshootings später kehren wir in ein kleines Lokal namens Auberge du Pouzat ein und finden auf dessen Terrasse einen gemütlichen Platz an der Sonne. Derweilen werden unsere knisternden Ws mit hohem Interesse von den anderen Gästen begutachtet, und ich beantworte die Fragen der Interessierten. Etwas Verwirrung macht sich breit, als ich ihnen sage, dass es sich bei den beiden Bikes um noch immer aktuelle Modelle handelt und um keine echten Klassiker. Auf jeden Fall ist man sich am Ende einig, dass es schöne Motorräder sind. Und man wünscht uns „Bonne Route“ für den weiteren Verlauf unserer Reise.
Nach der auf Deutsch, Englisch und Französisch geführten Unterhaltung geniessen wir erneut die Ruhe und die frisch zubereiteten Muscheln. Ja, wir saugen diese einmalige Atmosphäre dieses Urlaubstages in uns auf und relaxen nach dem Mahl bei einem Café au Lait, bevor wir langsam wieder aufbrechen und über Saint-Martin d’Ardèche den Bogen zurück in Richtung Les Vans schlagen. Noch einmal zieht uns die Natur vollends in ihren Bann, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ihr „ohne Gegenwehr“ zu folgen. Über den nur 363 Meter hohen Col de la Forestière nach Bessas tragen uns die beiden Ws blubbernd zurück in die Unterkunft nach Les Vans. Damit endet ein traumhafter Tourtag, den wir mit einem vorzüglichen Abendessen an Marinas grosser Tafel beschliessen.
Dörfer-Rundfahrt
Nach der ruhigen Nacht in den echt bequemen Betten unseres Appartements stellen wir erfreut fest, dass uns Petrus anscheinend gut gesinnt ist. Denn er schenkt uns erneut einen sonnigen Tag. Nach dem nun obligatorischen Frühstück im Garten und der Begrüssung durch Quietschi, der Haus- und Hofkatze, machen wir uns erneut fahrfertig.
Für den heutigen Tag haben wir eine Städte- oder besser gesagt Dörfer-Rundfahrt der besonderen Art ausbaldowert. Diese führt uns zunächst nach Naves, nur ein paar Kilometer entfernt von Les Vans. Und schon beim Befahren des Ortes wird es mystisch. Glaubt man zudem den Einheimischen, ist man gesegnet, wenn man die kleine Kapelle im Zentrum des verwinkelten Ortes betritt. Da das Gotteshaus an diesem Tag aber leider geschlossen ist, begnügen wir uns mit dem Berühren des Gebäudes. Wir hoffen, dass das für den Segen ausreicht. Der Ort an sich bietet viele lauschige Ecken. Die Gassen leiten uns vorbei an den alten Steinbauten zurück in eine Zeit, in der abends das Dorfleben auf der Strasse stattfand und Smartphone oder gar Elektrizität noch Fremdwörter waren.
Einspurige Strassen
Zurück auf den Bikes geht es über kleine, zumeist einspurige „3D-Strassen“ (Carmens Interpretation) mitten durch die faszinierende Natur mit ihren Kiefernwäldern und mittlerweile braunen Farnen am Strassenrand über Payzac, nach Planzolles. Dort verschlägt es uns in eine Ziegen-Käserei, in der wir unsere Taschen mit den köstlichen Milchprodukten des Bauern füllen (peytot.com), bevor wir in Joyeuse noch unseren Frischwasservorrat ergänzen. Kurz darauf befinden wir uns erneut im Sattel der Maschinen und folgen der D403 und der D579 nach Vogüé, dem nördlichsten Punkt der Tour, und von da weiter Richtung Süden nach Balazuc.
In die Vergangenheit versetzt
Auch in Balazuc fühlt man sich, ähnlich wie in Naves, in die Vergangenheit versetzt. Die Gelassenheit, die dieser Platz verströmt, lässt so manchen deutschen Besucher in Unruhe verfallen. Wir geniessen die weiten Ausblicke der über dem Fluss klebenden Stadt und ihren altertümlichen Charme, in den engen und zuweilen steilen Gassen. Grinsend über die Szenerie schauen Carmen und ich einander an, und nach einem kleinen Snack und einem Kaffee rollen wir erneut davon. Auf der gut ausgebauten D4 kommen wir flott voran, während die trockene Ebene auf beiden Seiten der Strasse an uns vorüberzieht. Labeaume ist das nächste Ziel, und so fahren wir die Ws die engen Auffahrten hinauf und vor dem Ortskern wieder hinunter, bevor wir die beiden Mopeds auf dem örtlichen Parkplatz abstellen und die luftgekühlten Reihenzweizylinder verstummen.
Wie bei „Herr der Ringe“
War Naves und Balazuc schon ein Erlebnis, so fühlt man sich in Labeaume ein klein wenig im dritten Teil der „Herr der Ringe“-Saga. Zudem ist es durch die Sackgasse, an deren Ende dieser Ort liegt, noch ruhiger als sonst und somit der genau richtige Platz, zum picknicken. Wir nehmen uns diese Zeit, suchen eine Stelle oberhalb der Stadt und geniessen. Erst viel später und nach einem ausgiebigen Sonnenbad brechen wir von hier aus wieder auf und halten uns weiter südwärts, um noch einmal die Hochebene und den Bois de Païolive zu durchqueren. In der Nachmittagssonne ist diese Gegend nicht weniger faszinierend als beim ersten Mal am Morgen. Mit beschwingtem Gefühl kommen wir schliesslich auch an diesem Tag in unsere Unterkunft zurück.
Wochenmärkte
Ein weiteres Highlight der Gegend sind die an verschiedenen Wochentagen und dem Wochenende stattfindenden Wochenmärkte. Vor allem, wenn man, wie wir, guten Wein zu schätzen weiss. Dafür planen wir für den darauffolgenden Tag sogar eine Töffpause ein und machen stattdessen eine Rundfahrt mit dem Cabrio. Les Vans bietet dabei ein ganz besonderes Marktgeschehen, das keinerlei Wünsche offen lässt und zudem noch durch seine Gemütlichkeit in den engen Gassen des Ortes begeistert. Lebensmittel jeglicher Art werden hier feilgeboten, Kleidung, Accessoires und vieles mehr, was man braucht – oder auch nicht.
Edle Tropfen
Der Morgen und fast der gesamte frühe Nachmittag vergehen dort, als ob Zeit nichts wäre, bevor wir zu den Winzern fahren und uns reichlich mit deren edlen Tropfen eindecken. Ob in der Domaine de Pecoulas (www.domainedepecoulas.com) oder in der Cave de Lablachere (www.cave-lablachere.fr): die Weine erfüllen höchste Ansprüche zu einem fairen Preis. Als wir zurückfahren, liegt der BMW ein Stückchen tiefer … Es ist schon zu spät, um noch einmal mit dem Motorrad aufzubrechen. Daher lassen wir uns im offenen Auto einfach den Wind um die Nase wehen und geniessen die Heimfahrt heute einmal anders.
An diesem Abend verwöhnen uns erneut Marina und Thomas mit ihrem Abendessen. Doch bevor wir schlafen gehen, trinken Carmen und ich noch zwei, drei Gläser unseres erstandenen Weins und geniessen den Sonnenuntergang im Garten.
Mitten durch die Treibjagden
Unser nächster Tag beginnt schon sehr früh, denn noch einmal haben wir eine bereits auf dem Bildschirm atemberaubend wirkende Tour geplant. Diesmal geht es zuerst ein wenig Richtung Südwesten, wo wir über etliche Kurven mit den verschiedensten Radien zum Col du Pré de la Dame hinauffahren, um die ersten weiten Blicke an diesem sonnigen Tag zu erhaschen. Weiter folgen wir der D66 nordwärts bis nach Villefort, wo wir uns am See in der Mittagszeit stärken.
Was danach kommt, ist gefühlt das wohl ausgeklügeltste 3D-Strassennetz Südfrankreichs (schmale, aber immer noch geteerte Strassen). Erst viel später bekommen wir mit der D4 wieder breiteren Asphalt unter die Räder. Über den Col de Meyrand fahrend, geniessen wir den frühen Nachmittag und die wärmende Herbstsonne, bevor mit der D19 bis nach Jaujac ein echtes Highlight an Strassenbau und -führung auf uns zukommt. Von da an geht es bergab, wieder in Richtung Les Vans, über den Col de la Croix de Millet und die D203 nach La Rochette, mitten durch die Treibjagden der einheimischen Jäger und die vollen Kastanienbäume rechts und links neben den engen, sich windenden Strassen.
Bei der Planung verschätzt
Zugegeben: Bei der Planung haben wir das alles durchaus unterschätzt und sind froh, als wir mit der langsam einsetzenden Dunkelheit das Ortsschild von Les Vans passieren und die Tour nach rund 260 Kilometern beenden. Ein Traum war dieser letzte Tourtag mit dem Motorrad trotzdem, auch wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle ein etwas komfortableres Motorrad gewünscht hätten. Insgesamt aber machten die Ws ihren Job gut und waren zum Geniessen der Gegend genau die richtige Wahl.
Ja, in der Ardèche haben wir unser Ziel erreicht
Das Hauptzziel unserer Reise war es, Entspannung zu finden und noch einmal die Sonne zu geniessen, bevor der Winter und die dunklen Tage Einzug halten. Das haben wir an und um den Fluss Ardèche zu 100 Prozent erreicht und teilweise sogar übertroffen. Dank unseren Gastgebern im Mas de la Garrigue bekamen wir zudem wertvolle Tipps und eine spitzenmässige Verpflegung. Ein grosser Dank geht auch an meinen Freund Jochen Ehlers von Endurofun Tours (www.endurofuntours.com), der die Gegend wie seine Westentasche kennt – er hat uns viele tolle Ideen auf unsere Reise mitgegeben.
Reise-Informationen
Text und Bilder: Torsten Thimm