Honda ADV350 – auch die Performance überzeugt
Fünf Jahre nach dem X-ADV750 bringt Honda für die Saison 2022 den ADV350. Er überzeugt mit starker Optik und ebensolchem Antritt.
Auf Sizilien sind wir Hondas neuen Adventure-Roller ADV350 kürzlich erstmals gefahren. Nachdem uns sein vom X-ADV750 abgeleitetes Design (Modellupdate 2021) schon an der EICMA im November positiv überraschte, konnten wir uns jetzt auch noch von Antrieb und Chassis überzeugen.
Gutes Antriebsteam
Der aus dem 2021 neu lancierten Forza350 bekannte Einzylinder mit 330 ccm Hubraum ist zusammen mit dem stufenlosen CVT-Getriebe ein echtes Sahnestück. Dieses Team bietet eine Performance, die man allein anhand der nackten Leistungsdaten kaum vermuten würde.
Die automatische Fliehkraftkupplung ermöglicht es beim Losfahren, dass die Drehzahl des Motors bei Bedarf sofort steil nach oben schiesst und das maximale Drehmoment von 31,5 Nm (bei 5250/min) bald erreicht ist. Beim vollgetankt 186 Kilo leichten Roller sorgt es für einen sehr ordentlichen Antritt. Wer etwa von einem Parkplatz an der Landstrasse in den Verkehr einfädelt, braucht keine Angst zu haben, dass er nicht flott vom Fleck kommt. Bleibt man satt am Gas, beschleunigt der Scooter innert weniger Sekunden mit Leichtigkeit auf 80 km/h oder auch mehr.
Immer im optimalen Bereich
Im Landstrassenbetrieb dreht der Single praktisch immer im optimalen Bereich zwischen Drehmomentspitze und maximaler Leistung. Die beträgt 29 PS/21,5 kW (bei 7500/min). Für die meisten Motorradfahrer wohl ein eher bescheidener Wert. Doch selbst das Autobahntempo von 120 km/h erreicht der ADV350 mühelos. Erst über 130 haben Steigungen bzw. Gefälle sowie Postur und Gewicht des Fahrers einen spürbaren Einfluss auf die weitere Beschleunigung.
Und am Berg? Selbstverständlich testen wir auf Sizilien auch die wichtige Disziplin der Gebirgsfahrt. Wir erklimmen zwar nur Höhen von 300 bis 400 Meter — allerdings ausgehend vom Meeresspiegel. Auch hier überrascht Hondas neuer Adventurescooter mehr als positiv. Selbst das Herausbeschleunigen aus Haarnadeln macht mit ihm richtig Spass.
Nie angestrengt
Dabei brummt der Single motiviert, aber niemals aufdringlich – weder für den Fahrer noch für die Umgebung. Angestrengt wirkt er nie, im Gegenteil. Ausserdem gibt es dank Ausgleichswelle in keinem Drehzahlbereich störende Vibrationen. Freilich: die grossen Brüder X-ADV750 oder Forza750 sorgen mit mehr Power und dem im Motorradbereich einzigartigen Honda-Doppelkupplungsgetriebe für noch mehr Knall bei sportlicher Gangart. Doch umso begeisternder ist es, was Honda aus dieser Motor-Getriebe-Kombi rausholt. Damit man bei Strassenverschmutzungen oder Nässe keine ungewollten Powerslides hinlegt, ist eine zweistufige und abschaltbare Traktionskontrolle an Bord.
Vier Ventile und Kolbenkühlung
Beim Motor handelt es sich um den „enhanced Smart Power+‘ SOHC-Vierventil-Einspritzmotor, der 2020 im SH125i und SH150i debütierte. Um die Kolbenkühlung zu verbessern, sprüht ein Ölstrahl, wie beim Crosser CRF450R Öl direkt auf den Kolbenboden. So kann der Zündzeitpunkt vorverlegt und die Verbrennungsleistung verbessert werden. Die innere Reibung wird durch einen um 5 mm versetzten Zylinder, die Einführung eines hydraulischen Kettenspanners und den Einsatz einer Ölabsaugpumpe reduziert. Wie bei Hochleistungsmaschinen senkt die Pumpe den Innendruck im Motor, reduziert die Ölbewegung und verringert Pumpverluste sowie die innere Rotationsreibung.
Satte Strassenlage
Auf Sizilien finden wir zudem die besten Bedingungen vor, um auch das Fahrwerk auf Herz und Nieren zu testen. In der Region um Marsala im westlichen Teil der Insel gibt es alle möglichen Strassenkonditionen. Wobei aber der perfekte Zustand eher eine Seltenheit ist. Rumpelpisten mit verschiedenen Asphaltschichten, Schlaglöchern etc. sind dagegen die Regel. Auch die Gripverhältnisse sind hier auf vielen Abschnitten nicht top. Umso klarer lässt sich so aber festhalten, dass der ADV350 sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Wie der grosse Bruder, verfügt auch der ADV350 vorn über eine performante USD-Gabel (37 mm, Showa) mit zwei Gabelbrücken, ganz wie auf einem Motorrad. An Risern befestigt ist ein verhältnismässig breiter Rohrlenker. Im Cockpit gibt es denn auch keinerlei Plastikabdeckungen, welche die Sicht auf Lenker und Gabel einschränken würden. Hinten arbeiten zwei Federbeine mit externen Ausgleichsbehältern und progressiven Federn mit dreifacher Federrate.
Die Strassenlage ist stets satt und auch auf der Autobahn sehr stabil. Die Gabel wie auch die beiden hinteren Federbeine sind ziemlich straff abgestimmt. Der ADV bleibt so stets souverän in der Spur. Schnell genommene Passagen mit Unebenheiten ziehen kein Aufschaukeln nach sich. Hinsichtlich Komfort muss man sich nur bei kurzen, harten Schlägen auf Einbussen einstellen. Die kommen nämlich direkt beim Fahrer an. Allerdings: Abstecher auf Feldwege sind dank verhältnismässig einer Bodenfreiheit von 145 mm und üppiger Federwege von 125 mm vorn und 130 mm hinten kein Problem.
Auch in der chaotischen Innenstadt beim Durchschlängeln gibt sich der gut ausbalancierte ADV unkompliziert und handlich.
Effektive Verzögerung
Wenn es ums Bremsen geht, besteht abermals Grund zur Freude. Denn die beiden Einzelscheiben (256 mm vorn / 240 mm hinten) sorgen, zusammen betätigt, auch bei engagiertem Kurvenwetzen für effektive und dank Zweikanal-ABS sichere Verzögerung. Der vordere Nissin-Zweikolbensattel lässt sich auch mit nur zwei Fingern gut dosieren. Am hinteren Einkolbensattel sind bei stärkeren Verzögerungen vier Finger von Vorteil. Selbst bei Vollbremsungen bleibt der Scooter stabil. Top: Bei harten Bremsmanövern oder z. B. Schreckbremsungen werden auch die Warnblinker aktiviert (Emergency Stop Signal ESS), um die Aufmerksamkeit der Nachfolgenden zu erregen.
Erwachsene Ergonomie
Komplettiert wird das gute Gefühl auf dem ADV durch die erwachsene Ergonomie. Man nimmt auf einem grossen, bequemen, aber nicht zu weichen Polster Platz. Leicht nach vorn geneigt greift man zum Lenker, wo sich hochwertige, moderne Bedienelemente, bekannt von anderen Honda-Modellen, befinden. Selbst die Steuerung des LC-Displays ist vom Lenker aus möglich. Die invertierte Anzeige ist zumeist gut ablesbar, auch bei Sonneneinstrahlung von hinten. Neben Geschwindigkeit und Drehzahl werden auch alle anderen wichtigen Infos angezeigt, inklusive Reichweite, Benzinverbrauch und Umgebungstemperatur.
Einzig die beiden Bremshebel sind nicht einstellbar. Doch haben diese eine vernünftige Distanz zum Griff, so dass man sie sowohl mit Winter- als auch mit Sommerhandschuhen problemlos erreicht, ohne dabei anzustossen.
Auch für die Füsse gibt es genügend Platz. Die Verkleidung bietet einen relativ guten Windschutz, obwohl sie ziemlich sportlich geschnitten ist. Doch auf der Autobahn beweist sie bei hohen Tempi ihre Qualitäten. Selbstverständlich sind die Handprotektoren am ADV serienmässig. Sie leiten den Wind ebenso wirkungsvoll ab wie die Scheibe. Letztere zeigt bereits in der untersten Stellung ihre Wirkung, kann bei Bedarf aber noch um 133 mm höhergestellt werden (vier Stufen insgesamt). Das bewirkt zum einen mehr Schutz im Brustbereich, bringt aber auch gewisse Verwirbelung am Helm mit sich.
Freude für die Sozia
Eine Sozia oder ein Sozius findet ein ebenso grosses Polster vor, sowie je Seite zwei schlicht ins Heck integrierte Haltegriffe. Ist das optionale Topcase montiert, kann er sich zudem am gummierten Rückenpolster anlehnen.
Apropos: das Topcase ist nicht ganz billig. Es schlägt mit 679 Franken zu Buche. Dafür fasst es 50 Liter, was bis zu zwei Integralhelmen entspricht. Die Box öffnet sich auf Knopfdruck und zwar nur, wenn das Fahrzeug (via Funkschlüssel) entsichert wurde. Letzterer hat ein sehr handliches Format in etwa der Grösse eines Feuerzeugs. Mit dem Smart Key in der Tasche lässt sich der ADV350 über einen Drehknopf im Cockpit entriegeln bzw. dessen Zündung einschalten. Cooles Feature am Smart Key ist die Blinkfunktion, welche am Roller die Blinker kurz aktiviert. So findet man seinen Roller schneller wieder, sollte man im urbanen Parkingchaos einmal den Überblick verloren haben.
Der Scooter kommt übrigens serienmässig mit einem Seiten- sowie einem Zentralständer. Beide lassen sich gut bedienen, insbesondere das Aufbocken geht kinderleicht. Beim Verwenden des Seitenständers muss man aufs Gefälle achten. Denn eine Feststellbremse ist nicht vorhanden. Die wäre zudem von Vorteil, wenn man an einem Ampelstopp etwa die Scheibe verstellen möchte. Dazu sind nämlich zwei Hände nötig (je Seite ist dazu ein Sicherungsstift herauszuziehen).
Grosses Helmfach
Wer auf das Topcase verzichtet, bekommt dennoch üppigen Stauraum. Denn auch unter dem Sattel finden in einem 48 Liter grossen Fach bis zu zwei Integralhelme Platz. Leider ist das Fach nicht beleuchtet. Im Beinschild befindet sich linksseitig ein Fach, das primär für Handys gedacht ist und auch über eine USB-C-Ladebuchse verfügt.
Connectivity
Schliesslich bietet der ADV auch eine serienmässige Connectivity inklusive Sprachsteuerung, ein Headset vorausgesetzt. Hat man ein solches am Helm verbaut, lassen sich über die „Honda RoadSync-App“ ewta Anrufe tätigen oder Musik hören. Auch die Naviansagen (basierend auf Google Maps) kommen als Tonansage. Eine (Pfeil-)Anzeige im Display gibt es dagegen nicht.
Zubehör
Im Originalzubehör finden sich für den ADV350 neben dem Topcase zudem Heizgriffe (250 Franken), ein U-Schloss oder eine Outdoor Faltgarage.
Link: www.de.honda.ch/motorcycles.html