Test: Kawasaki Ninja ZX-4RR mit Video
Mit dem Bonsai-Supersportler Ninja ZX-4RR macht Kawasaki einen unerwarteten Schachzug und besetzt quasi als Pionier eine für uns unbekannte Nische. Die der kleinen Premium-Racer. Ob die Rechnung aufgeht?
Kawasaki ZXR 400, Suzuki GSX-R 400, Yamaha FZR 400, Honda CBR 400 R. Falls euch diese Modellbezeichnungen vertraut sind, euch die Zahl 400 aber suspekt vorkommt, dann ist das absolut okay. Denn die Bonsai-Versionen der Superbike-Ikonen aus Fernost, die in den 1980ern und 1990ern Hochkonjunktur feierten, waren in unseren Breitengraden weitestgehend unbekannt. Zum einen vereitelten die Schweizer Homologationsbestimmungen der damaligen Zeit den Import dieser flinken Race-Replicas, anderseits waren die 400er für den europäischen Markt eher unattraktiv. Denn – anders als in Japan, wo man eine sehr aufwändige Prüfprozedur über sich ergehen lassen musste – waren bzw. sind die für den Führerschein einer «Grossen» zu meisternden Hürden bei uns im Vergleich absolut human.
Kawasaki ZX-4RR: Eine Liga für sich
Und ja, die neue Kawasaki Ninja ZX-4RR ist durchaus als Reminiszenz an diese kleine Racer-Gattung zu verstehen. Und es ist auch nicht so, dass Kawasaki mit ihr die im eigenen Stall trabende Ninja 400 bedrängen würde. Denn die Doppel-R spielt in einer komplett anderen Liga. Während erstgenannte ein A2-taugliches Einsteiger-Motorrad darstellt, ist die neue aus Kobe ein waschechter und nicht drosselbarer Renner, der mit seinen Performance-Werten und hochwertigeren Komponenten eher Kenner anspricht. Connaisseurs, die – warum nicht als Zweit- oder Dritt-Töff – einen unanstrengenden, leichten und damit nicht überfordernden aber dennoch performanten Flitzer für die Passstrasse oder den Trackday suchen. Insofern ist die 77 PS starke und über 15’000/min drehende ZX-4RR auch nicht mit einer KTM RC 390, einer Yamaha R3 oder einer Honda CBR 300 R vergleichbar. Vielmehr ist sie eine etwas kleinere Ninja ZX-6R. Preislich wird die Neue weniger als 10‘000 Franken kosten und bereits ab November verfügbar sein.
Filigranes Innenleben an der ZX-4RR
Herzstück der ZX-4RR ist der sehr kompakte Reihenvierzylinder-Sechzehnventiler, der mit Ram-air-Staudruck sogar 80 PS an die hintere 160er-Sohle befördern soll. Er ist sehr kurzhubig ausgelegt, denn die Kawasaki ZX-4RR holt ihre Power über die Drehzahl. Und so wurden diverse Ingenieurs-Kniffe angewendet, um die Füllung und die Kühlungseffizienz zu optimieren. Etwa über möglichst direkt geführte Einlasskanäle, ultra-leichte, geschmiedete Nockenwellen und spezifische Öffnungen an den Verschalungen, über die via Unterdruck die heisse Luft aus dem Motorraum gesaugt wird. Ansonsten wurde die Auspuffanlage von der ZX-6R abgeleitet, und auch die Assist-Rutschkupplung am Sechsganggetriebe mit bidirektionalem Quickshifter arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie bei der grossen Schwester.
Auf leichtes Handling getrimmt
Beim Chassis kommt eine Stahlgitterrohrkonstruktion mit verschweisstem Heckrahmen zum Einsatz, der in Bezug auf die Positionierung von Schwingendrehpunkt, Motorschraubpunkten und Lenkkopfwinkel von der ZX-10R abgeleitet wurde. Hinsichtlich Steifigkeit und Flexibilität wurden hier freilich dedizierte Berechnungen vorgenommen. Die hübsche Bananenschwinge aus Stahl lässt Platz für eine schwerpunktgünstig enganliegende Positionierung des Auspuffdämpfers.
Die Vorderradführung obliegt einer 37 mm starken Big-Piston-USD-Gabel von Showa, die in der Federbasis einstellbar ist. Federrate und Dämpfungskennfeld wurden auf die Leistung und die 189 Kilo (fahrfertig) der 4RR angepasst. Während hinten das komplett einstellbare Showa-BFRC-Federbein zum Einsatz kommt, das nach gleichem Prinzip auch in der ZX-10R arbeitet. Gebremst wird vorn via 290-mm-Doppelscheibe mit radial verschraubten Monoblock-Festsätteln. Hinten arbeitet ein Einkolben-Schwimmsattel, der eine 220-mm-Scheibe in die Mangel nimmt.
Spendable digitale Assistenz an der ZX-4RR
Weitere interessante Features sind die in der Spreizung jeweils fünfstufig justierbaren Handhebel, das Sitzpolster auf lediglich 800 mm Höhe, die Voll-LED-Beleuchtung, der in wenigen Handgriffen entfernbare Kennzeichenausleger und das 4.3-Zoll-TFT-Display mit zwei Designs (Standard und Circuit) sowie Connectivity zur kostenlosen Rideology App von Kawasaki.
Was uns zur Elektronik der 4RR führt: Sie rollt mit den Modi Sport, Road und Rain an den Start. In ihnen sind jeweils vordefinierte Empfindlichkeitsstufen der Traktionskontrolle (3 Levels) programmiert. Gleichzeitig sind ihnen jeweils spezifische Power-Kennfelder zugewiesen (Full bzw. Low). Im vierten Modus «Rider» kann alles nach Belieben zusammengestellt und auf Wunsch auch die Traktionskontrolle ausgeknipst werden.
Test Kawasaki ZX-4RR: Eine Million Umdrehungen
So viel zur Theorie bzw. zur Technik. Jetzt geht‘s ans Eingemachte, und zwar geben wir der ZX-4RR heute auf dem 3250-Meter-Rundkurs von Calafat nahe Barcelona in vier Sessions à 20 Minuten die Sporen. Das macht dann insgesamt ca. eine Million Umdrehungen am Motor der mir zugewiesenen Ninja, die den homologierten Akrapovic-Karbondämpfer aus dem Zubehörprogramm trägt.
Erster Turn: Während ich rekonstruiere, wo es in Calafat nun schon wieder durchgeht, stelle ich schnell fest: Nein, die antrainierte 1000er-Linie funktioniert hier überhaupt nicht. Denn um spitz reinzufahren, den Scheitel kurz zu touchieren, so schnell wie möglich wieder aufzurichten und dann mit Höllenfeuer herauszuatomisieren, dazu fehlt hier schlicht die Power. Und somit lautet die Zauberformel: Weit ausholen, rund fahren, viel Schwung mitnehmen und so schnell möglich wieder Vollgas… und keinesfalls unter 10‘000/min fallen lassen.
Tatsächlich spielt die Musik bei der ZX-4RR im Bereich ab der genannten Marke bis zum Begrenzer bei astralen 16‘000/min. Und die kleine Japanerin ist – bei sanfter Ansprache – dermassen drehfreudig, dass dieses gewinnbringend nutzbare Drehzahlband ziemlich rassig durch ist. Es steht also viel Schaltarbeit an, wenn man den kleinen Reaktor bei Laune halten will. Nur gut, dass der bidirektionale Quickshifter am knackig-präzisen Sechsganggetriebe eine makellose Performance an den Tag legt. Die Entfaltung der jederzeit problemlos kontrollierbaren Power ist leicht progressiv, aber spielend zu managen. Und das macht Hirnkapazitäten frei, die man zwecks penibler Linienwahl und Treffen der Brems- und Einlenkpunkte dankend annimmt.
Erwachsenes Chassis
Der ungestresste Charakter der ZX-4RR rührt ganz klar auch von der piekfeinen Chassis-Fahrwerk-Komposition. Wenn ich heute mit einer ZX-10R im technisch anspruchsvollen Calafat fahren würde, wäre ich am Ende der Sessions angesichts der schieren Power und der vielen Richtungswechsel jeweils ziemlich platt. Nicht so bei der 4RR.
Einlenken geht praktisch wie von selbst, und die für uns mit Pirelli Diablo Rosso III besohlte kleine Ninja trifft die anvisierte Linie jeweils unverschämt genau (Serie: Dunlop GPR300). Das Umkreisen der Radien erfolgt ebenfalls sehr akkurat, wobei man dieses Leichtgewicht mit Grazie am Lenker führen sollte. Was übrigens auch für das Gasanlegen gilt. Bringt man die entsprechende Feinmotorik mit, hat diese Ninja definitiv etwas von einem Präzisionsinstrument. Was neben der gelungenen Geometrie definitiv auch an den hochwertigen und durchaus fähigen Fahrwerkskomponenten liegt. Gerade hier spürt man sehr genau, dass die 4RR gegenüber den A2-400ern in einer anderen Liga spielt: Schon leichte Anpassungen etwa am Federbein entfalten eine klar spürbare Wirkung. Und den Bremsen dürfen wir getrost das Etikett «her-vor-ragend» umhängen.
Und so fliege ich völlig unangestrengt im Flow um dieses knifflige Asphaltband, habe Vertrauen in das, was sich unter mir abspielt und vor allem eines: verdammt viel Spass. Es geht sogar so weit, dass hier nicht etwa die Fahrwerkskomponenten dem erquickenden Tiefflug Grenzen setzen, sondern die Reifen. Tatsächlich wünschte ich mir bei diesen hochsommerlichen Temperaturen einen Supercorsa SP oder gar einen Slick. Sowie eine kompakte Racing-Rastenanlage, welche die prinzipiell gute Schräglagenfreiheit nochmals steigert.
Und somit haben wir es hier unter dem Strich mit einem kleinen Präzisions-Racer zu tun, der auf der Strasse bestens funktionieren dürfte – die Ergonomie ist nicht zu extrem – und für den gelegentlichen oder auch regelmässigen Trackday das erforderliche Rüstzeug mitbringt. Der Preis liegt für das technisch wie auch fahrdynamisch Gebotene absolut im – sprichwörtlich – grünen Bereich.
Kawasaki Ninja ZX-4RR: Das Fazit
Endlich wieder beherzt Vollgas geben! Natürlich hat man mit der ZX-4RR gegen die 600 und 1000er dieser Welt kaum eine Chance, doch darum geht es nicht. Kawasaki hat hier ein preiswertes Präzisionsinstrument für den etwas anderen Fahrstil und vor allem ungestressten Spass gebaut. Viel Schwung, reichlich Schräglage, die ganze Breite nutzen und so zum König bzw. der Königin des Bremspunkts, Einlenkmoments, der Linienwahl und der Schaltzeitpunkte werden.
Info : www.kawasaki.ch