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Reiseenduros im Vergleich

Reiseenduros

Der Sommer naht mit grossen Schritten, und mit ihm die Ferienzeit. Und nicht wenige der töfffahrenden Zunft werden diese für eine Reise auf zwei Rädern nutzen. Die idealen Bikes dafür? Reiseenduros. Sie bieten Komfort, Wetterschutz, Stauraum, lange Federwege und – zumindest im Fall unserer Kontrahentinnen – auch einiges an sportlichem Potenzial mit sich.

Mit dabei im Test: Die drei aktuellen Premium-Reiseenduros der grossen zentral-europäischen Hersteller – die BMW R 1200 GS aus Deutschland, die Ducati Multistrada 1260 S aus Italien und die KTM 1290 Super Adventure S aus Österreich. Doch irgendwo am Horizont lauert etwas im Gebüsch. Grün, mit schmalen Augen und langen Beinen – auch Triumph schickt auf diese Saison mit der Tiger 1200 eine neue Premium-Reiseenduro ins Rennen.

 

Wieso die nicht auf den Gruppenbildern ist? Als wir den Test produzierten, war die Triumph bis extrem kurz vorher noch nicht verfügbar, weshalb wir eigentlich auf sie verzichten wollten. Triumph hat dann aber alle Hebel in Bewegung gesetzt und uns von einem französischen Vertreter eine neue Tiger 1200 direkt zu unserem Testort in Südfrankreich liefern lassen. Wir waren aber immer noch nur drei Fahrer, weshalb sie nicht auf den Gruppenbildern zu sehen ist. Wir haben die neue Britin aber selbstverständlich mitgetestet.

 

Reiseenduros

Die Triumph Tiger 1200 kam etwas knapp zum Test und greift darum aus dem Hinterhalt an.

Sportlich und/oder Effizient

Im direkten Vergleich auf derselben Passstrasse kamen die Unterschiede zwischen den drei Konkurrentinnen deutlich zum Vorschein: Obwohl die Leistungscharakteristiken des italienischen 90 °-V2 und des 75 °-V2 aus Österreich auf eine möglichst lineare Leistungsentfaltung getrimmt wurden, bleibt im Fahrbetrieb eine spürbare, wenn auch gleichmässige Progression, die begeistert und auch ein sportliches Flair vermittelt. Der BMW-Boxer mag dagegen vergleichsweise emotionslos wirken, ist aber ­sicher nicht minder effizient. Sein Trumpf ist, wie seidenfein und kraftvoll er in Drehzahlbereichen anschiebt, in denen die V2 noch nicht einmal rund laufen.

 

Die KTM wirkt nicht nur am kräftigsten, sie ist es faktisch auch. Dies äus­sert sich umso ausgeprägter, als sie ihre Maximalwerte bei niedrigeren Drehzahlen erreicht als die Ducati. Die BMW ist trotz ihres nominellen Leistungsdefizits von fast 35 PS in Wirklichkeit sehr lange richtig gut ­dabei und muss die Konkurrenz erst ziehen lassen, wenn die ihre V2 ausdrehen können, was auf der Pass­strasse ja eher selten passiert. Die Quickshifter funktionieren bei ­allen Probandinnen erstaunlich fein und geben keinen Anlass zu Kritik.

Hochbeinig und Leichtfüssig

Das Handling der Ducati wirkt auf der Passstrasse, speziell in Kurvenwechseln nach wie vor am leichtfüssigsten, auch wenn sie diesbezüglich weder der KTM noch der BMW viel abnimmt. Neutral ist das Handling aller drei Reiseenduros, wobei die BMW mit ihrem Fahrwerk doch am meisten Ruhe in die Passfahrt bringt, ja Ruhe geradezu ausstrahlt. Auf allen drei Kontrahentinnen muss erstaunlich wenig «gearbeitet» werden. Erst auf der Bremse zeigt sich das Gewicht wieder.

 

Auf schlechtem Asphalt erwiesen sich die 19-Zoll-Vorderräder von BMW und KTM gegenüber dem 17-Zöller der Ducati klar im Vorteil. Sie überrollen Unebenheiten deutlich ruhiger und vermittelten so viel Vertrauen, was auf der zweiten Hälfte unserer Testfahrt an der Cote d’Azur auf regennasser Strasse noch stärker ins Gewicht fiel. Während mit der BMW sorgenfrei und der KTM dank klarem Feed­back auf der zerfurchten, nassen Passstrasse ein zügiges Tempo angeschlagen werden konnte, fiel es auf der Ducati deutlich schwerer, den Grip einzuschätzen und Vertrauen aufzubauen.

Ermüdungsfrei und zügig

Die BMW vermittelt ein sehr hohes Grundvertrauen. Auch wenn ein klares Feedback vom Fahrwerk fehlt, sorgt sie mit ihrem Telelever für viel Ruhe, so dass man sich auch in heikleren ­Situationen nie auf der letzten Rille fühlt noch irgendeine Hektik auf kommt. Ducati und KTM sind sicher sportlicher ausgelegt. Man fühlt sich schneller, auch wenn man es unter Umständen gar nicht ist, denn man ist engagierter unterwegs, muss mehr «arbeiten». In Italien und Österreich werden Emotionen und ein sportliches Fahrgefühl traditionsgemäss höher gewertet als Ruhe. Auf die Dauer kommt der BMW aber zugute, dass sie vergleichsweise wenig Energie und Aufmerksamkeit verlangt und damit konditions- und konzentrationsschonend ist. Mit ihr können ohne Ermüdungserscheinungen längere Etappen gefahren werden, als mit den emotionaleren Herausforderinnen im Test.

Reisequalitäten

Bleibt festzuhalten, dass man auf allen drei Bikes sehr bequem sitzt, auf der KTM am höchsten, auf der BMW am niedrigsten. Bei allen ist die Sitzhöhe um rund 20 mm variabel, auf der Ducati braucht’s dafür jedoch Werkzeug. Alle drei sind mit grossen Benzin­tanks für lange Etappen gerüstet. Die Gepäcksysteme sind alle auf hohem Niveau, wobei die BMW mit einer einfach variierbaren Koffergrösse ­besticht.

 

Auch bei der Manövrierfähigkeit ist und bleibt die BMW das Mass der Dinge. Mit ihrem Boxer und dem tiefen Schwerpunkt lässt sie sich im Schritttempo stets leicht dirigieren und dank grossem Lenkeinschlag ­einfach auf kleinstem Platz wenden. Ihr Motor kann zudem derart tieftourig gefahren werden, dass auch Langsamfahren im Schritttempo kein Problem ist. Wird die Kupplung zuhilfe genommen, ist bei ausgeprägten Gasstössen aber Vorsicht geboten, denn die bewirken durch die längsliegende Kurbelwelle stets eine seitliche Nickbewegung. Bei Manövern im Schritt­tempo reiht sich die Ducati auf Position 2 knapp vor der KTM ein.

 

Optisch wurde die Ducati mit ihrem eleganten italienischen Design vom Testteam einstimmig zur Schönheitskönigin gewählt. Hier musste sich die KTM mit ihrer gewöhnungsbedürftigen Schein­wer­fer­einheit knapp geschlagen geben. Die BMW ist sicher hübscher als auch schon und fällt so auch in dieser ­Disziplin nicht mehr weit zurück.

Und die Triumph?

Mit Dreizylinder und Kardan hat die Triumph Tiger 1200 XCA, wie die BMW R 1200 GS, ein Alleinstellungsmerkmal. Sie erhielten wir kurzfristig nach Frankreich geliefert und konnten sie im Rahmen des Gross­enduro-Vergleichs auch auf derselben Teststrecke fahren. Als Topvariante ist sie serienmässig ausgesprochen umfangreich ausgestattet: Kurven-ABS, Kurven-Licht, Traktionskontrolle, Fahrmodi, bidirektionaler Quickshifter, semiaktives Fahrwerk, TFT-Display, Keyless-System, Tempomat, Sitzheizung usw.

 

Die Sitzposition auf der Tiger 1200 ist sehr bequem und absolut vergleichbar mit dem Vorbild BMW, zu der die ­Triumph auch optisch unverkennbare Parallelen hat. Mit ihrem Motorcharakter, dem Handling, der Grundausrichtung und ihrer Unbeschwertheit ist die Britin sicher näher an der Deutschen als an den sportlicheren V2-Reiseenduros. Wie sich die Ducati von der sportlichen Seite dem Klassenprimus BMW genähert hat, gelang dies auch der Triumph von der eher gemächlichen Seite her. Das Angebot der mehrheitstauglichen Reiseenduros ist also nochmals um eine weitere europäische Konkurrentin gewachsen.

Charakter-Töff

Die Reiseenduros kommen sich definitiv immer näher. KTM und Ducati haben punkto Vielseitigkeit klar zur BMW aufgeschlossen, ohne auf ihre typischen Charakterzüge und die Sportlichkeit ihrer V2-Motoren zu verzichten. Wäre die Ducati vor einem Jahr noch die extremste in diesem Vergleich ­gewesen, fällt sie heute kaum mehr aus der Reihe. Mit ihrem 17-Zoll-Vorderrad ist sie auf guten Strassen voll im Element.

 

Mit der KTM ist die Duc sicher in die sport­liche Ecke einzuordnen, während die BMW wie auch die gleicherorts gefahrene Triumph Tiger 1200 eher auf der emotionsloseren, aber unkomplizierteren und damit ermüdungsfreieren Seite angesiedelt sind. Die beiden V2 sind für die engagierte Feierabendausfahrt perfekt geeignet und bieten trotzdem alle Features für die Reise in die Ferne. BMW kämpft einfach in allen Disziplinen ganz vorne mit und hat die goldene Mitte ziel­sicher gefunden.

 

Text: Tobias Kloetzli, Patrick Schiffmann | Bilder: Yud Pourdieu Le Coz

 

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