Michelin Anakee Road im Test auf 3600 km
Zwei Anreisetage, zwei Tage Rückreise, dazwischen 30 Stunden die katalanische Töff-Challenge 100 Colls – 3600 Kilometer harter Test für den neuen Michelin Anakee Road.
Nach dem ersten Test des Michelin Anakee Road anlässlich der Pressevorstellung in Andalusien bot sich uns mit der Motorrad-Rallye 100 Colls in Katalonien die optimale Gelegenheit, dem neuen Adventure-Touringreifen in weniger als einer Woche auf 3600 Kilometern so richtig auf den Zahn zu fühlen. Und das unter Bedingungen und in Revieren, in denen der neue 90/10er-Gummi von Michelin beweisen musste, was er wirklich draufhat.
Die 100 Colls ist eine anspruchsvolle Herausforderung, bei der es gilt, im erwähnten Zeitraum auf einer individuell wählbaren Route möglichst viele Pässe respektive Punkte zu sammeln (100colls.cat). Hinzu kommt, dass sowohl die Anreise wie auch die Rückfahrt durch traumhafte Motorradreviere wie Ardèche, Cevennen, das französische Zentralmassiv und den Jura für diesen Reifentest ideale Voraussetzungen bieten.
Michelin Anakee Road Test: Grundlagen
Doch bevor es losgeht, noch kurz zum Konzept und den wichtigsten Konstruktionsmerkmalen des neuen Michelin Anakee Road in diesem Test: Mit der Produktlinie Anakee offeriert Michelin Fahrern von hubraumstarken Reiseenduros seit Langem massgeschneiderte Reifen für jeden Bedarf: den grobstolligen Anakee Wild, ein 50/50er-Gummi (Strasse/Offroad) für die Offroad-Fraktion, den Anakee Adventure (80/20) für Abenteurer, die gelegentlichen Fahrten abseits des Asphalts nicht abgeneigt sind, und den 90/10er-Anakee-3 für Strassenorientierte.
Dem Umstand, dass der grösste Teil der Reiseenduro-Piloten ihre in jüngster Zeit zunehmend schwereren und leistungsstärkeren Maschinen vorwiegend auf der Strasse bewegen, trägt Michelin nun Rechnung und ersetzt Letzteren durch den komplett neu konstruierten Anakee Road. Wie etwa der Strassensportreifen Road 6, der auf dieser Reise von meinem Kollegen auf seiner Yamaha Tracer 7 GT gefahren wurde, ist der Anakee Road nach der bewährten Michelin-Technologie 2CT+ aufgebaut.
Kernmerkmal dieser Konstruktionsweise ist eine harte Gummimischung, die sich über die gesamte Laufflächenbreite spannt, ergänzt mit darüber liegenden weicheren Gummis an den Reifenschultern. Dabei soll der harte Compound in der Reifenmitte Stabilität und hohe Laufleistung gewährleisten, der weichere besseren Grip in Kurven. Hinzu kommt ein neu gezeichnetes Profil, das laut Michelin mehr Laufruhe und eine bessere Entwässerung herbeiführt.
Anfahrt mit Tücken
Nun aber los! Meine CRF1100L Africa Twin ist frisch besohlt – 90/90-21 vorne, 150/70-18 hinten. Um die Reifen schonend einzufahren, vor allem jedoch, weil es bis zu dem von uns gewählten Startpunkt der 100 Colls in den französischen Pyrenäen über 1200 Kilometer sind, bleiben wir bis Chambéry auf der Autobahn.
Auf den meist perfekt asphaltierten Fahrbahnen überzeugt der Anakee Road mit souveräner Eigendämpfung und Laufruhe. Weiter südlich, zwischen Voreppe und Die, wird’s kurviger. Hinzu kommt eine Streckensperrung, welche eine Umfahrung über abenteuerliche Nebensträsschen erfordert. Verschmutzte, feuchte und vielerorts von Winterschäden aufgerissene Strassenbeläge meistert der Anakee Road sehr gut, wobei kurze, gut kontrollierbare Rutscher weniger auf die Reifen, sondern eher auf die erschwerten Bedingungen sowie allzu forsche Beschleunigungen zurückzuführen sind.
Durch die lang gezogenen Bögen der südlichen Ardèche können wir es dann zum ersten Mal so richtig fliegen lassen. Die Strasse trocken, kaum Verkehr, die Gummis bis nahe an die Konturkante angefahren, das Vertrauen aufgebaut. Kein anderer zuvor auf meiner CRF gefahrene Reifen überzeugte mit gleichermassen leichtem Einlenkverhalten, toller Laufruhe und Zielgenauigkeit.
Ähnliches gilt fürs Aufstellmoment beim harten Anbremsen, welches jedoch bei einem 21-Zöller und langen Federwegen konstruktionsbeding in gewissem Masse einfach hingenommen werden muss. Wer die Grip-Grenzen des Anakee Road bei trockener Fahrbahn ausloten will, muss ziemlich schräg unterwegs sein. Selbst von kratzenden Stiefelspitzen und über den Asphalt schleifenden Fussrasten – das ist mit der 21-Zöller-A-Twin ziemlich schräg – zeigt er sich unbeeindruckt und zieht präzise und vertrauensfördernd seine souveräne Spur ums Eck.
Michelin Anakee Road: harter Test im Nassen
Gut, haben wir die abwechslungsreiche Fahrt durchs französische Zentralmassiv in vollen Zügen genossen, denn genau zum Start der 100 Colls wechselt das Wetter um 180 Grad. Was mit leichtem Nieseln und dichtem Nebel auf der Südrampe des Col de Jou beginnt, steigert sich im Tagesverlauf entlang der Küste bei Rosas zu orkanartigem Regen und an den folgenden Tagen in den Pyrenäen sogar zu Graupelschauer mit Hagel und Schnee.
Nun, diese extremen Bedingungen sind nicht bloss ein Härtetest für uns und die Bekleidung, sondern insbesondere auch für die Reifen. Anfangs eher vorsichtig, steigt das Vertrauen in Sachen Grip und Bremsverhalten relativ schnell, und so geht es bereits nach kurzer Fahrt relativ zügig voran. Auf dem uns schier endlos erscheinenden Abschnitt kurz vor dem Etappenort Camprodon bremst mich die dynamische Mischung aus Regen, Rollsplitt und starkem Ölgeruch komplett ein. Reine Kopfsache – die Reifen haben damit weit weniger Probleme.
Dass ich nach drei Tagen Kälte, Regen und weiteren Niederschlägen meine persönliche Nässe-Performance deutlich verbessern konnte, verdanke ich vor allem den Anakee Road, die mich bezüglich Grip und Bremsleistung wirklich beeindruckt haben. Auf der ersten Etappe der Rückfahrt, über das Hochplateau bei Puigcerda, Mont-Louis und Formigueres sind wir trotz strömendem Regen im engen Kurvengeschlängel hinunter nach Quillan gefühlt nur unwesentlich langsamer unterwegs als bei trockener Strasse.
Die vorbildlichen Eigenschaften bei Nässe zählen zu den grossen Stärken des neuen Anakee Road. Auf der letzten Etappe durch den französischen Jura führt uns eine schlecht signalisierte Umleitung auf einen durchnässten Feldweg. Während die kurze Schotterpassage zuvor problemlos zu meistern war, ist hier der sanfte Anstieg aufgrund der fehlenden Traktion nicht zu schaffen.
Nach einer Profiltiefe von anfänglich 4,91 mm vorne und 8,31 mm hinten messen wir nach 3600 km 3,9 mm und 5,8 mm, was vom Anakee Road eine Laufleistung von rund 10 000 km erwarten lässt.
Text: Hanspeter Küffer