Kawasaki Z650
Der Einsteiger-Bestseller Kawasaki ER-6n hat die Pubertät hinter sich gebracht und geht in der druckvolleren, agileren und aggressiver gezeichneten Z650 neu auf.
Seit seiner Lancierung vor exakt zehn Jahren hat das insbesondere von Einsteigern sehr geschätzte Mittelklasse-Naked-Bike ER-6n eine beispiellose Erfolgsgeschichte hingelegt. Bis zum heutigen Tag hat Kawasaki weltweit über 120 000 Einheiten des umgänglichen und preiswerten Allrounders abgesetzt; davon 3370 in der Schweiz. Neben den neuzeitlichen Z-Modellen hat die ER-6n damit ganz entscheidend zur Wiederauferstehung der grünen Marke beigetragen.
Nicht zuletzt, weil sie dem Brand über die Jahre konstant eine stramme Anzahl an Neukunden zuführte.Es versteht sich von selbst, dass Kawasaki die Erfolgsgeschichte der ER-6n weiterschreiben will. Geschehen tut dies ab 2017 allerdings in der famosen Z-Familie in Gestalt der in Mailand enthüllten Z650. Freilich soll die Neue den für die ER-6n definierten, sehr breiten Kundenkreis ansprechen, wobei jedoch klar jüngere Bikerinnen und Biker und damit auch Einsteiger im Fokus stehen.
Und weil sich deren Ansprüche in den vergangenen zehn Jahren grundlegend gewandelt haben, hat die Z650 mit der ER-6n nur noch sehr wenig gemein. Zum Beispiel – „never change a winning horse“ – den gutmütigen Gegenläufer-Twin mit 649 ccm, der allerdings auf mehr Druck im unteren und mittleren Drehzahlbereich ausgelegt wurde (neu 65,7 Nm bei 6500/min statt 64 Nm bei 7000/min).Spannend ist dabei, dass die Drehmomentkurve der Z jene der ER durchs Band überflügelt – insbesondere in der Mitte. Wie das? Primär durch eine Anpassung der Nockenwellenprofile und der ECU-Parameter sowie über eine Reduktion der Drosselklappendurchmesser um zwei auf 38 mm. Letzteres optimiert die Füllung unten und in der Mitte, wobei bei der Topleistung (68 PS) jedoch einige PS – im vorliegenden Fall deren vier – verloren gehen. Ferner wurde eine Rutschkupplung implementiert, die nebenbei auch die aufzubringende Bedienungs-Handkraft minimiert.
Kräftig abgespeckt
Die zweite zentrale Neuerung betrifft den Rahmen, wobei anstelle der Stahlrohr-Doppelschleifenkonstruktion mit angeschweisstem Stahlprofil im Getriebe- und Heckbereich ein filigraner Stahlgitterrohrrahmen verbaut wird. Letzterer ist gegenüber dem Vorgänger zehn Kilo leichter und damit hauptverantwortlich für die Gewichtsreduktion um total sage und schreibe 19 Kilo. Die Z650 wiegt damit fahrfertig noch 187 Kilo. Der Hauptkritikpunkt der übergewichtigen ER-6n wäre damit bereits beseitigt.Bleibt das neue, deutlich frechere Kleid nach bewährtem Sugomi-Z-Schnittmuster. Dass gerade im Mittelklasse-Segment die Optik inzwischen den wichtigsten Faktor zur Fällung des Kaufentscheids darstellt, ist gemeinhin bekannt. Dass die Z650 ihre Vorgängerin diesbezüglich um Galaxien in den Schatten stellt, steht ausser Frage. Ob sich die organisch wirkende Auspuffanlage allerdings konsequent ins Gesamterscheinungsbild des Bikes eingliedert, muss jeder für sich beurteilen.
Wem sie missfällt, der oder die dürfte im Originalzubehörprogramm der Z650 den passenden Ersatz finden.Weitere nennenswerte Eingriffe sind die Einführung eines Digital-Tachos mit Gang- und Schaltanzeige, die um 15 mm reduzierte Sitzhöhe (neu 790 mm), die jetzt mehrfach verstellbaren Handhebel sowie das nicht mehr seitig, sondern zentral angebrachte Federbein, das neu auch über ein Link-System verfügt.Zu haben ist die Z650 ab sofort in Weiss, Schwarz und Titan. Der Preis beträgt 7400 Franken und liegt damit exakt bei jenem der ER-6n, von der noch einige wenige Exemplare im Handel kursieren dürften.
Mehr Druck in den Pötten
Ich nehme Platz und richte mich ein. Sofort fällt auf, dass die Z gegenüber der ER im Schritt deutlich schmaler gezeichnet wurde. Bei 174 cm Körpergrösse balanciere ich das Bike entsprechend mit beiden Stiefelsohlen auf dem Asphalt, und die Beine sind dabei noch nicht einmal durchgestreckt. Das Sitzpolster ist ganz komfortabel, es bietet einen guten Grip, und der Lenker manövriert mich in die bekannte, aufrecht-entspannte Ergonomie mit durch und durch mehrheitsfähigem Kniewinkel. Bei den Knöpfen, Schaltern und Hebeln liegt eine hervorragende Bedienbarkeit vor. Gleiches gilt für den Ständer. Einzig die Ablesbarkeit des unentspiegelten Tachoelements könnte bei grellen Lichtverhältnissen etwas besser ausfallen.Die sonnengefluteten Strassen Südandalusiens warten – wir legen los!
Der Sound ist bekannt und manifestiert sich bei Normalbetrieb wie gehabt in einem dumpfen, unaufdringlichen Twin-Beat, wobei sich beim Auf-vollen-Durchzug-Stellen der Drosselklappen ein sonor-röhrendes „Brooohm“ auszubreiten beginnt – trotz der neu etwas kleiner dimensionierten Luftfilterbox.Man fährt die Z650 hauptsächlich zwischen 3000 und 6500/min, und da hat sie tatsächlich merklich mehr Druck zu bieten als noch die ER-6n. Frisch und motiviert nagelt der Reihenzweizylinder bei erfrischender Drehfreude unbeirrbar linear durchs breite nutzbare Drehzahlband, um ab 7000/min noch einige Briketts nachzulegen. Das leichte Minus bei der Topleistung tut der Sache absolut keinen Abbruch, denn bei 8000/min, wo die Nennleistung ansteht, dürfte die Z650 sowieso nur in den seltensten Fällen bewegt werden.
Fakt ist: Auch 68 PS sind ausreichend, um einen nachhaltigen Flow herbeizuführen, wenn Motor, Fahrwerk, Balance und Ergonomie in Harmonie zueinander stehen. Und das ist bei der Z650, wie wir gleich sehen werden, definitiv der Fall.Auch der neuen Rutschkupplung wollen wir ein Kränzchen winden. Sie ist sehr gut dosierbar, lässt sich spielend mit nur zwei Fingern präzis bedienen und beugt bei Verschaltern effizient einem stempelnden Hinterrad vor. Auch für das butterweich handhabbare Sechsganggetriebe haben wir nur Lob übrig. Bei der motivierten Kurvenhatz ertappen wir uns gar regelmässig dabei, wie wir die einzelnen Stufen ohne zu kuppeln durchfeuern.Motorenseitig verbesserungswürdig, wobei wir hier auf hohem Niveau jammern, ist die nicht ganz ruckfreie Gasannahme bei tiefen Drehzahlen und damit bei Innerortstempi.
Auf zum wirbligen Tanz
Am meisten gespannt sind wir natürlich auf die Performance der neuen Fahrwerks-Chassis-Komposition. Da sind die unzähligen Kurvenkombinationen mit allen erdenklichen Radien im Hinterland der südandalusischen Stadt Huelva für einen Check die perfekte Spielwiese. Das Wichtigste vorweg: Die 19-Kilo-Diät macht sich bemerkbar. Und wie sie das tut: Die Z650 ist unabhängig vom Speed spürbar agiler als die ER-6n; deswegen aber noch lange nicht verspielt.
Tatsächlich haben die Ingenieure mit dem neuen Rahmen und dessen Geometrie mit um 0,5 Grad steiler gestelltem Lenkkopfwinkel und um 2 mm verkürztem Nachlauf eine unverschämt harmonische Balance hergezaubert. Der Mix aus Handling und Stabilität könnte damit kaum besser sein: luftig-flink beim Abwinkeln und schön stabil von Kurveneingang bis und mit -ausgang. Und so finden wir uns beim lustvollen Sporengeben mit breitem Grinsen hinterm Visier wieder und laben uns an der unerwarteten Sportlichkeit, welche die Z650 bei hervorragendem Komfort und spielender Bedienbarkeit aus dem Ärmel zückt.Sie ist also mitnichten „nur“ ein Einsteigertöff, wobei sportliche Naturen dann aber wohl doch besser zur Z900 greifen, die im Januar zusammen mit der Ninja 650 und damit der verschalten Schwester der Z650 vorgestellt wurde.
Das leichte Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage ist übrigens vernachlässigbar. Auch die Vibrationen, die sich im Bereich um knapp 6000/min bei den Füssen manifestieren, sind nicht weiter störend.Bleiben die Bremsen: Neu kommen vorn anstelle der Doppelkolben-Schwimmsättel von Tokico modernere Pendants von Nissin zum Einsatz, wobei auch die Beläge ersetzt wurden. Das Resultat ist eine Bremsanlage mit klassenüblich entschärftem Druckpunkt, grandioser Dosierbarkeit und auf Wunsch richtig bärigen Verzögerungswerten. Auch die Bremsanlage im Hinterrad lässt keine Wünsche offen, und falls es doch einmal zur Schreckbremsung kommen sollte, vereitelt das neue, ausgesprochen sanft regelnde 9.1-M-ABS von Bosch Schlimmeres.
Fazit
Die Mission „Weiterführung der ER-6n-Erfolgsgeschichte“ dürfte glücken. Die mit einem bestechenden Preis-Leistungs-Verhältnis aufwartende Z650 ist in allen Bereichen reifer und stärker als die ER-6n. Dass die Neue auch optisch frecher daherkommt, steht eh ausser Frage.