Finnland: Lange Tage, kurze Nächte
Robert Annetzberger nimmt uns mit auf eine Reise durch Finnland. 2018 erlebte der Berliner das nordeuropäische Land auf seiner BMW R 1200 GS Adventure während des magischen Mittsommers.
Plötzlich steht da dieser Polizist und winkt mich heran. War ich zu schnell? Nicht möglich, hatte ich doch sorgfältig die finnischen Tempolimits beachtet. Kann in Suomi ja sehr schnell sehr teuer werden. Als er mir sein Messgerät vor die Nase hält, ist alles klar: Alkoholkontrolle. Morgens um halb neun! Einmal ins Messgerät pusten, natürlich alles in Ordnung. «Have a nice day», sagt der Uniformierte freundlich zu mir.
Zwei Tage lang Party
Heute ist Mittsommer in Finnland, das heisst, zwei Tage lang Party mit viel Alkohol. Und am längsten Tag des Jahres bringt man sich offenbar schon früh in Stimmung. Die Gesetzeshüter werden schon wissen, warum sie kontrollieren. Zwei Stunden vorher war ich in Turku von der Fähre gerollt. Die riesige «Galaxy» war voll bis unters Dach, mit viel Gewusel, Hektik und Lärm an Bord.
Beim Check-in war ich mit einigen schwedischen Bikern ins Gespräch gekommen. Viele wollen das anstehende lange Mittsommerwochenende zu einem Kurztrip nach Finnland nutzen, erklärten sie mir.
«In Finnland kann man ganz gut Mittsommer feiern », meinte einer von ihnen. Doch so voll die Fähre auch war, nach dem Anlegen zerstreuen sich die Passagiere mit ihren Fahrzeugen sofort in alle Winde.
Ich rolle durch die menschenleere Hafenstadt, um auf der 10 erst einmal ein paar Kilometer Richtung Inland hinter mich zu bringen. Nach der – vergleichsweise – öden Fahrt auf der Fernstrasse schlage ich mich bei Forssa auf die Landstrasse: endlich ein paar Kurven. Bei Toijala überquere ich das erste Gewässer. An der Brücke an einer engen Stelle des Vanajavesi-Sees steht dann auch der freundliche Uniformierte …
Verschwundener Campingplatz
Über Valkeakoski geht es weiter Richtung Kangasala. Doch der auf der Karte vermerkte Campingplatz, den ich ansteuern will, existiert nicht. Ich konsultiere das Handy, frage Passanten, ohne Ergebnis. So bleibt mir nichts anderes, als wieder aufzusteigen.
Gut 30 Kilometer weiter, bei Orivesi, soll es einen weiteren Campingplatz geben. Zur Sicherheit frage ich in Kangasala ein paar Taxifahrer, die sofort ihre Handys zücken, um mir den Weg genau zu beschreiben. «Ich bin von hier», sagt einer von ihnen. «Den Campingplatz gibt es garantiert, da kannst du hinfahren. »
Kurz vor Orivesi geht’s rechts weg auf eine Schotterstrasse. Auf dem Campingplatz ist jede Menge los. Viel Partyvolk, das sich zur Mittsommerparty eingefunden hat. Männer wie Frauen, jung oder alt, keiner ist ohne Bier in der Hand unterwegs, obwohl erst früher Nachmittag ist. Das Zelt baue ich etwas abseits auf – sicherheitshalber.
Dämmerung statt Dunkelheit
Ich geniesse den Ausblick auf den Längelmävesi-See und die Sonne, die gar nicht untergehen will. Erst gegen halb zwölf verschwindet sie langsam am Horizont. Dann herrscht einige Stunden Dämmerung, bis sie vor drei Uhr wieder erscheint.
Der Abend wird natürlich lang und laut. Wer in den dunklen Monaten die Sonne fast gar nicht zu sehen bekommt, feiert eben ausgelassen, wenn sie so lange scheint. Riesige Grillpfannen werden angeworfen, die Tische biegen sich vor Essen. Die Finnen lassen’s sich gut gehen an diesem Tag.
Am Ufer des Sees ist ein riesiger Holzhaufen aufgeschichtet. Aus dem Sonnwendfeuer wird dieses Jahr aber nichts. Die Behörden haben es verboten: Waldbrandgefahr. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Die schwankenden Gestalten bleiben brav, trotz des nicht unerheblichen Alkoholkonsums.
Vertrauen ist gut …
Dafür ist es am nächsten Morgen umso ruhiger, alle schlafen ihren Rausch aus. Ich nutze die Gelegenheit, um das Handy im Aufenthaltsraum aufzuladen. Das dort herumlungernde Pärchen hätte ich vielleicht etwas mehr im Blick behalten sollen, geht es mir wenig später durch den Kopf. Denn als ich nach einem kurzen Weilchen mein Handy holen will, ist es weg! Die Suche nach Bonnie und Clyde auf dem Campingplatz bleibt erfolglos. Als später am Vormittag die Rezeption wieder besetzt ist, melde ich den Diebstahl. Beim Beschreiben des verdächtigen Pärchens sagt man mir, die seien schon abgereist. Natürlich …
Nichts wie rauf aufs Bike, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich starte zu einer Rundtour um den Näsijarvi-See. Die 230’000-Einwohner-Stadt Tampere, die ich durchquere, ist wegen des Feiertags menschenleer, alle Geschäfte sind geschlossen. Tiefhängende Wolken begleiten mich, als ich auf der gut ausgebauten Landstrasse 65 nach Norden fahre. Interessanter wird es dann auf der Nord- und Ostseite des Sees: Kleine Landstrassen, Einsamkeit pur, ein Vorgeschmack auf das Finnland, das ich in den kommenden Tagen erleben darf.
Wasser links, Wasser rechts
Der nächste Tag begrüsst mich mit Sonnenschein. Schnell die Sachen gepackt, und ab Richtung Nordosten. Von Orivesi geht es über Jämsä nach Korpilahti flott auf der 9 voran. Ab jetzt kann ich die finnischen Seenlandschaften geniessen. Wasser links, Wasser rechts – man kommt aus dem Schauen nicht heraus. Der Verkehr lässt es zu, immer wieder einen Blick in die Landschaft zu werfen, ich habe die Strasse fast für mich allein.
Ab Mikkeli ist die Strasse auf der Landkarte grün markiert. Zurecht, die 62 ist tatsächlich eine «Scenic Road» an der Nordseite des riesigen Saimaa-Sees entlang. Kurvig, leicht hügelig und immer wieder am Wasser entlang oder darüber hinweg, wie auf der bogenförmigen Brücke in Puumala. Die fast 800 Meter lange Brücke überspannt den Puumalansalmi-Sund erst seit 1995. Zuvor musste man zeitaufwendig per Fähre übersetzen.
Finnland im Zweiten Weltkrieg
Alte Architektur kann ich wenige Kilometer später in Ruokolahti bewundern, in Gestalt der Holzkirche aus dem Jahr 1752. Neben dem historischen Glockenturm erinnern die Soldatengräber aber auch an die leidvolle Geschichte Finnlands während des Zweiten Weltkriegs. Im Winterkrieg von 1940 trotzten die Finnen der übermächtigen Roten Armee und fügten Stalins Truppen einige empfindliche Niederlagen zu.
Ein langer Fahrtag geht zu Ende, als ich den Campingplatz in Laappenranta erreiche. Nur die Uhr zeigt mir, dass es 18 Uhr ist. Ginge es nach der Sonne, könnte man wohl noch ewig fahren, noch immer steht sie hoch am Himmel. Nur ein paar Reisende haben sich auf dem riesigen Platz installiert. Unter anderem eine sportliche Mittfünfzigerin, die mit dem Fahrrad unterwegs ist. Im Frühjahr sei sie im nördlichen Norwegen losgefahren, erzählt sie. Aber die Reise ist noch lange nicht zu Ende. «Von Finnland aus geht’s ins Baltikum, dort treffe ich meine Tochter und dann fahre ich weiter Richtung Deutschland.» Respekt! Zeit müsste man haben.
Ende des unfreiwilligen Digital-Detox
An der Rezeption erfrage ich erst einmal, wo sich der nächste Elektronikmarkt befindet. Am nächsten Vormittag halte ich wieder ein Smartphone samt finnischer Prepaid-Karte in der Hand. Mein unfreiwilliges Digital-Detox ist beendet, das hervorragende finnische Netz hat mich wieder. Laappenranta hatte ich als grössere Stadt nur angesteuert, um das Handy kaufen zu können. Nach der Mittsommersause hat wieder die Arbeitswoche begonnen, mit dem Verkehr, der dazugehört. Der bleibt mir auch auf der Via Karelia Richtung Nordosten erhalten. Ödes Kilometerfressen, bis ich bei Kesälahti die Schnellstrasse verlasse. Ein paar Kilometer weiter wieder nichts als Natur am Puruvesi-See. Nur ein paar Camper, die den Seeblick geniessen. Wo sind all die Leute von der Fähre geblieben? Mir soll’s recht sein: Ruhe und Einsamkeit – so wollte ich das. Dazu die Sonne, die gar nicht untergehen will.
500 Jahre alt: Burg Olavinlinna
Von meinem Basecamp starte ich am nächsten Tag zu einem Rundtrip Richtung Savonlinna. Die Kleinstadt liegt im Herzen der Seenlandschaft. Ihr Wahrzeichen ist die imposante, mehr als fünfhundert Jahre alte Burg Olavinlinna mit ihren mächtigen Mauern.
Kurz darauf lasse ich Olavinlinna hinter mir. Entspannt blubbert die GS vor sich hin. Entschleunigung pur. Unterwegs versuche ich immer wieder, mir die finnischen Namen der Orte einzuprägen, die ich im Laufe des Tages ansteuern will. Allerdings habe ich keine Chance, die Sprache ist einfach zu fremd. Da hilft nur, immer wieder auf die Karte zu sehen. Doch selbst die Wegweiser helfen nicht immer weiter. In jedem grösseren Ort ist «Keskuta» ausgeschildert. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass es «Zentrum» bedeutet.
Die Weiterfahrt nach Joensuu führt mich noch einmal über die Via Karelia. Joensuu lasse ich schnell hinter mir, mich zieht es weiter in die Natur. Mein Tagesziel ist Lieksa, am Ostufer des Pielinen-Sees, dem fünftgrössten des Landes. Zelt aufbauen, dann nichts wie raus aus den Motorradklamotten und rein in das herrliche Wasser.
Der Schweizer Auswanderer
Gut, dass ich die Gelegenheit zum Baden noch genutzt habe. In der Nacht weckt mich heftiges Prasseln auf mein Zelt. Vierundzwanzig Stunden Dauerregen nageln mich erst einmal fest in Lieksa. Ich merke, dass der starke Wind, der mich in den Tagen zuvor beim Fahren teilweise heftig gebeutelt hat, auch sein Gutes hatte. Denn jetzt, wo er weg ist, kommen die Mücken.
Bei einem Kaffee an der Rezeption schlage ich etwas Zeit tot und komme mit einem Schweizer ins Gespräch. Vor sieben Jahren hat es ihn nach Finnland verschlagen, jetzt arbeitet er hier als eine Art Hausmeister, macht alles, was so anfällt.
Es dauert eine Weile …
Wie es sei, hier zu leben, will ich von ihm wissen, vor allem, was die Sprache betrifft. «Es ist schon schwer», meint er. «Aber inzwischen kann ich es ein bisschen.» Und die Finnen? «Es dauert eine Weile, bis einen die Finnen akzeptieren», sagt der Auswanderer. «Aber wenn sie merken, dass man ein anständiger Kerl ist, kann man wirklich gute Freunde finden, die einem bei allem helfen.» Weil er gerne jagen und fischen gehe, sei es für ihn leichter gewesen, Anschluss zu finden. Mit Gewehr oder Angel hinaus in die Natur zu gehen, das machen auch die Finnen gerne. Und im Winter? «Schlimm sind die Monate November und Dezember, weil es einfach nur dunkel ist.» Dieses Problem haben wir zurzeit nicht. Helles Tageslicht gibt es fast rund um die Uhr.
Anderntags hat sich die Regenfront verzogen, ich rolle weiter durch Karelien. Noch einmal geht es ganz nah an die russische Grenze heran, bevor ich die GS ins Landesinnere lenke.
Fantastischer Sonnenaufgang um 2.30 Uhr
In Vuottolahti am Oulo-See steuere ich am nördlichsten Punkt meiner Tour einen traumhaft gelegenen Campingplatz an. Die Dame an der Rezeption spricht nur drei Worte Englisch, aber wir kommen klar: ein Zelt, ein Motorrad, zwei Nächte. Pure Idylle hier. Ich bin der einzige Ausländer, ausser mir gibt es nur ein paar finnische Camper mit Wohnmobilen. Endlose Sonnenuntergänge habe ich in den vergangenen Tagen reichlich gesehen, aber am nächsten Tag möchte ich die Sonne auch einmal aufgehen sehen. Das heisst: Wecker stellen auf 2.30 Uhr.
Ich wache auch ohne Alarm mitten in der Nacht auf, als es im Zelt plötzlich ziemlich frisch wird im Gesicht. Ein Blick auf den Bordcomputer zeigt warum: 3 Grad! Ein eiskalter Morgen, aber das Aufstehen lohnt sich, auch wenn die Finger beim Fotografieren ziemlich klamm werden. Von dunkelviolett bis hellorange verfärbt sich der Horizont, während sich die Sonne langsam über den Horizont schiebt und den Dunst, der über dem See liegt, langsam auflöst. Dazu nur Vogelgezwitscher und ein leise rauschender Wind. Fantastisch! Ich werfe den Gaskocher an, der erste Kaffee tut heute wirklich gut.
Immer wieder Schotter
Die Tour neigt sich dem Ende zu, über Iisalmi lasse ich die Adventure Richtung Süden rollen. Endlose Landstrassen, die immer wieder auch in Schotter übergehen. Sie führen durch Gegenden, in denen auf fünfzig, sechzig Kilometern keine Ortschaft liegt – nur ein paar einsame Bauernhöfe.
Am Abend taucht der kleine Ort Lisviesi auf. Am nett gelegenen Bootssteg darf ich für gerade einmal fünf Euro mein Zelt aufstellen. Dafür gibt’s Party inklusive, mit Bühne, Bands und den Local Heroes aus der Umgebung. Mit dabei sind auch ein paar ganz harte Kerle mit ihren Ami-Schlitten.
Der Alkohol fliesst in rauen Mengen an diesem Abend, aber die schweren Jungs geniessen einfach ihr Sommerfest und bleiben friedlich. Auf dem Weg nach Sysmä kreuze ich meine Route vom Beginn der Tour, die Runde durch’s südliche Finnland ist fast komplett. Mit einem Ruhetag am Päljänne-See lasse ich die Reise ausklingen, bevor mich die letzte Etappe wieder zum Hafen von Turku führt.
Traumhafte Schärenlandschaft
Von Turku nach Stockholm geht es wieder durch die traumhafte Schärenlandschaft. Im Zickzack schlängelt sich die riesige Fähre an den zahlreichen Inseln vorbei. Die Fahrrinne umfasst kaum zwei Schiffsbreiten, die Inseln scheinen in Steinwurfweite zu liegen. Bar, Tanzveranstaltung, Varieté, Duty-free-Shop – das kann mir heute alles gestohlen bleiben.
Mit einem Bier in der Hand lasse ich das auf den zweieinhalb Tausend Kilometern Erlebte und diesen Tag an Deck ausklingen. Und zwar so lange, bis die Sonne hinterm Horizont verschwindet.
— Text: Robert Annetzberger — Fotos: R. Annetzberger, Visit Finland
Reiseinfos Finnland
- Allgemeines
- Finnland, das «Land der 1000 Seen», genauer gesagt, sind es mehr als 180’000. Die Seenplatte im Süden des Landes ist das grösste Seengebiet Europas. Wer Abgeschiedenheit und Naturerlebnis sucht, ist in Finnland genau richtig. Das Land ist fast so gross wie Deutschland, hat aber nur 5,5 Millionen Einwohner. Ein Grossteil der Menschen lebt in den Grossstädten wie Helsinki, Tampere und Turku.
- Klima
- Das Klima in Finnland ist in den Küstenregionen im Westen und Südwesten gemässigt. Im Osten und Norden herrscht Kontinentalklima, das heisst, die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter sind grösser.
- Reisezeit
- Finnland ist als nordisches Land kühler als Mitteleuropa. Die angenehmsten Reisemonate für Motorradfahrer sind Juni bis August. Vor allem während der Mittsommerzeit im Juni sind die Tage extrem lang, die Sonne verschwindet nachts nur kurz.
- An- und Einreise
- Wer nach Finnland reist, kommt um eine Fähre nicht herum. Vom deutschen Hafen Travemünde gibt es eine Verbindung nach Helsinki. Wer über Schweden anreist, kann die Fähre von Stockholm nach Turku nehmen. Die Fahrt bietet traumhafte Ausblicke auf die Schärenlandschaft sowohl in schwedischen als auch in finnischen Küstengewässern. Bei Anreise über die Baltenrepubliken gibt es eine Verbindung vom estnischen Tallinn nach Helsinki. Führerschein, Fahrzeugschein und Personalausweis sollten mitgeführt werden.
- Währung / Preise
- Im Gegensatz zu den anderen nordischen Staaten, in denen mit Kronen bezahlt wird, ist die finnische Währung der Euro. Meist ist Kartenzahlung möglich. Das Preisniveau ist hoch, vor allem Alkohol ist teuer.
- Motorrad
- Die Strassen in Finnland sind gut, die Verkehrsdichte ist gering. Kleinere Landstrassen können über längere Strecken auch aus Schotter bestehen, sind bei entsprechender Fahrweise aber auch mit Strassenmaschinen machbar. Tempolimits sind strikt einzuhalten, schon bei geringen Übertretungen kann es empfindlich teuer werden.
- Übernachten
- Campingplätze gibt es genügend, meist mit Sauna. Oft kann man dort auch Hütten mieten. Um die Mittsommertage kann es auf Campingplätzen voll werden, da zieht es die Finnen ins Freie zum Feiern. Wildcampen ist möglich, in Finnland gilt das Jedermannsrecht, das Zelten in freier Natur erlaubt. Einschränkungen wie Campingverbote, Naturschutzgebiete oder die Nähe zu Privatgebäuden sollten beachtet werden. Hotels sind sehr teuer.