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Youngtimer: Aprilia RSV Mille R

Bis Ende der 90er hatte Aprilia einen hervorragenden Ruf, blitzschnelle 125er zu bauen. Und dann kam die geniale RSV Mille R, welche die Superbike-Klasse gehörig aufmischte.

Im Rennsport wie auf der Strasse war Aprilia mit ihren Zweitaktern kaum zu schlagen. Doch die Marke aus Noale (I) wollte einerseits in die Superbike-WM einsteigen und andererseits ein gutes Stück vom damals florierenden Markt der supersportlichen Motorräder abhaben. Und, um für alle klarzustellen, dass sie jetzt bei den grossen Jungs mitspielen wollen, nannten sie die Tausender selbstbewusst «Mille».

 

 

Da Aprilia damals wenig Erfahrung mit dem Bau von Hochleistungsviertaktmotoren hatte, entstand der 60 °-V2 in Zusammenarbeit mit Rotax. Fahrwerksseitig musste den Italienern jedoch niemand etwas vormachen, da hatten sie genügend Knowhow, was unzählige WM-Titel in den kleinen Klassen bestätigten. Man sieht, dass das Grund-Layout (inklusive Bananenschwinge) einer Renn-250er von anno dazumal sehr ähnelt. Und im Vergleich zu den breiten Vierzylindern profitiert der ambitionierte Mille-Pilot von der kompakten Ergonomie samt schmalem Tank.

Drei Varianten

Es gab insgesamt drei Varianten: Die Basisversion, die «R» und die sündhaft teure «SP», welche als Basismodell für die Superbike-WM nur 150-mal gebaut wurde. Wer zufälligerweise so ein Exemplar in der Garage stehen hat, kann sich über eine doppelte bis dreifache Wertsteigerung freuen. Für unsere Testfahrt dürfen wir auf einer «R» Platz nehmen. Sie verfügt im Gegensatz zur Basis über ein voll einstellbares Öhlins-Fahrwerk samt Lenkungsdämpfer, ein paar Karbonteile sowie wunderschöne, leichte OZ-Schmiedefelgen. Unser Exemplar ist bis auf den Endtopf kaum modifiziert. Apropos Auspuff: Kaum jemand liess damals das originale Riesenkamin drauf.

 

Fahrdynamik? Heute noch top!

Unmittelbar nach den ersten Verbrennungstakten im Stand wird klar: Dieses Triebwerk ist auf zack. Herrlich, wie der analoge Drehzahlmesser bei jedem kleinen Zupfer am Gaskabel Freudensprünge vollführt. Höchste Zeit, um ins Jahr 2000 zurückzudüsen. Kein Mapping, keine Traktionskontrolle, kein ABS oder sonstige elektronische Fangnetze sind scharfzustellen, das alles muss allein die menschliche Feinmotorik regeln. Im Laufe des Testtages beeindruckt die Mille nachhaltig mit ihrer Fahrdynamik, denn die messerscharfe Zielgenauigkeit, mit der man diesen Young­timer in Kurven hineinpfeffern kann, ist auch heute noch auf Topniveau und vermittelt sehr viel Vertrauen. Zudem war diese Aprilia auf der Bremse schon immer eine Macht.

Temperamentvoller V2

Dem Lob des Fahrwerks darf sich der Motor ungeniert anhängen. Am Stammtisch kann man zwar nicht mit 200 PS auftrumpfen, aber auf der Strasse ist das dann garantiert so lang wie breit. Denn einerseits drücken die über 100 Nm aus tiefen Drehzahlen unnachgiebig nach vorne und andererseits dreht der V2 obenrum temperamentvoll dem fünfstelligen Bereich entgegen.

 

Am Ende des Tages ist klar, warum die erste 1000er aus Noale damals etliche Vergleichstest wie auch Pokale in verschiedenen Rennserien gewonnen hat. Klar ist auch, dass das weder eine Tourensportlerin noch eine Sänfte ist, sondern einfach ein ehrliches Sportmotorrad, welches auf der Strasse auch im Jahr 2024 noch immer ungefilterten Fahrspass bereitet!

Kaufen?

Auf dem Markt gibt es immer wieder interessante Angebote, insbesondere vom Basismodell. Von etwas höherer Kilometerzahl sollte man sich nicht allzu sehr abschrecken lassen, denn die Mille ist sehr solide gebaut und insbesondere das Rotax-Triebwerk ist ein robuster Geselle, welcher kaum Probleme bereitet. Wichtig ist (wie bei jeder Occasion), dass der Service nachweislich regelmässig gemacht wurde, wo auch die Laufleistung nachvollzogen werden kann. Zudem wurden viele RSV für Rennstreckentrainings genutzt, darum hier speziell noch auf mögliche Sturzspuren achten. Zuletzt noch ein kleiner Tipp: Sollte diese Aprilia von der Sitzhaltung her dann doch zu sportlich sein, unbedingt mal eine Tuono V2 aus der damaligen Zeit Probe fahren.

 

 

Technische Daten

Motor: Flüssigkeitsgekühlter 60 Grad V2, DOHC, 4V
Hubraum: (Bohrung × Hub) 998 ccm (97× 67,5 mm)
Antrieb: Sechsganggetriebe, Kette
Leistung / Verdichtung: 128 PS (94 kW) bei 9 250/min / 11,4 : 1
Drehmoment: 105 Nm bei 7000/min
Rahmen: Aluminium-Brückenrahmen
Aufhängung: vorn Öhlins-43-mm-USD-Gabel, voll einstellbar
Aufhängung hinten: Öhlins-Zentraldederbein, voll einstellbar
Bremse: vorn 2 × 320 mm, Brembo-Vierkolbenzangen
Bremse: hinten 220 mm, Brembo-Zweikolbenzange
Reifen vorn und hinten: 120/70-17 und 190/50-17
Radstand / Sitzhöhe: 1418 mm / 825 mm
Lenkkopf / Nachlauf: 65,0 ° / 102 mm
Gewicht: 183 kg trocken
Tank: 20 l
Preis bei Markteinführung: Fr. 23 490.– (Jahr 2000)

 

 

— Text: Roger Sperandio  — Fotos: Markus Kunz

 

Link: moto.ch/Aprilia RS 457 im Test – klein und sportlich

www.aprilia.com/ch

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