Tipps zum Gebrauchtkauf: Unfalltöff oder nicht?
Langsam, aber sicher, neigt sich die Töffsaison 2019 ihrem Ende zu. Auch wenn das schade ist, ist der Herbst nicht nur schlecht. Denn genau jetzt sind Occasion-Töff meist am günstigsten zu haben. Doch wie erkenne ich, ob mein Wunschbike wirklich immer auf beiden Rädern stand? Einige Tipps.
Eins vorweg, dass ein Motorrad irgendwann mal in einen Unfall verwickelt war, muss nicht heissen, dass es technisch nicht wieder auf der Höhe ist. Wurde die Reparatur umfassend und professionell durchgeführt, kann so ein Bike sein wie neu. Und doch ist es immer schön, die Geschichte eines möglichen Kaufs zu kennen. Aber woran erkennt der potenzielle Käufer eines Occasionstöff (pro Jahr werden in der Schweiz rund 60 000 Handänderungen registriert), ob es sich bei dem Objekt seiner Begierde um einen Unfalltöff handeln könnte?
Der Verkäufer muss theoretisch seiner Offenbarungspflicht nachkommen und den Interessenten ungefragt über allfällige Vorkommnisse informieren. Doch man darf davon ausgehen, dass sich diese – ob Händler oder Privatpersonen – aus Eigeninteresse eher dem Motto «Reden ist Silber – Schweigen ist Gold» verpflichtet fühlen.
Indizien für einen Unfalltöff
Dem Kunden bleibt also nichts anderes übrig, als selbst auf Spurensuche zu gehen. Der erste Blick gilt dem Gesamterscheinungsbild. Sind Verkleidungsteile ersetzt worden? Sind die Fussrasten jünger als das Fahrzeug? Das lässt sich etwa daran erkennen, dass der Gummi der Fahrerrasten schwärzer und schöner erscheint als die weniger gebrauchten Gummis der Soziusrasten. Farbunterschiede bei Lack-, Metall-, Kunststoff- und Gummiteilen sind weitere Indizien. Falls es Teile sind, die auf beiden Seiten des Töff montiert sind, von denen aber nur eines wie neu aussieht, ist Vorsicht geboten. Eine umfassende Neulackierung des Motorrads muss nichts Schlechtes sein, aber auch hier heisst es aufpassen und nachfragen.
Unbedingt geprüft werden, sollten auch die Lenkanschläge an Rahmen und unterer Gabelbrücke. Leichte Eindruckstellen können vom ungeliebten «Kickback» (Lenkerschlagen) herrühren. Deutliche Abdrücke oder gar abgerissene Lenkanschläge dagegen weisen auf gröbere Vorkommnisse hin. Bei Upside-Down-Gabeln lohnt es sich zudem, die Holme rundherum zu inspizieren, denn häufig werden diese nach einer Beschädigung so gedreht, dass man den Schaden von aussen nicht sofort erkennt.
Verdächtig wird es, wenn am Töff Rahmen- oder Schwingen-Schutzabdeckungen aus Karbon angebracht sind, am restlichen Fahrzeug aber keine ähnlichen Teile verbaut sind. Das könnte, muss aber nicht, bedeuten, dass nicht die Ästhetik, sondern das Verbergen von Kratzern oder Dellen an Rahmen oder Schwinge bei der Montage im Vordergrund stand.
Achtung, Aufkleber!
Auch Aufkleber an Schwingen und Rahmen können verdächtig sein und Schäden verdecken. Der Autor erinnert sich bei einem Eintausch eines älteren Sporttöff an einen sehr neu wirkenden Aufkleber auf der Hinterradschwinge. Bei der Kontrolle befand sich darunter ein etwa Zweifränkler-grosses Loch, das der Bolzen der Fahrerfussraste bei einem Sturz in die Schwinge geschlagen hatte. Bei der Probefahrt sollte man auch auf eigenartige und untypische Geräusche achten.
Probefahrt lohnt
Auch eine Probefahrt bringt Licht ins Dunkel. Ich bin schon Töff zur Probe gefahren, die einen gebrochenen Rahmen hatten und beim Beschleunigen merkwürdig knackten … Allerdings ist nicht jedes Motorrad, das nicht geradeaus läuft, automatisch ein Unfalltöff. Oft steht wegen Fehlern beim Kettenspannen das Hinterrad schief, oder die schräg stehende obere Gabelbrücke ist auf verspannte Gabelholme zurückzuführen. Grundsätzlich hilft bei Zweifeln der Töffhändler des Vertrauens, er kennt die Fahrzeuge seiner Marke(n) am besten.
Einmal Unfalltöff, immer Unfalltöff
Ab wann gilt übrigens ein Motorrad als Unfalltöff? Gilt es als Unfall, wenn das Bike im Stand zur Seite kippt und dabei Spiegel, Lenkergewicht und Motordeckel zerkratzt werden? Ja – das Gesetz redet hier von Bagatellschaden. Kein Bagatellschaden ist es hingegen, wenn die Teleskopgabel ersetzt werden muss. Zwar kann man an einem Töff jedes Bauteil allein durch Schrauben ersetzen – im Unterschied zum PW, bei dem herausgetrennt und eingeschweisst werden muss –, trotzdem bleibt es ein Unfallfahrzeug, das in der Regel einen geringeren Wert als ein unbeschädigtes Fahrzeug besitzt, selbst wenn es dafür aus technischer Sicht keinen Grund gibt.
Immerhin: Wir haben in der Schweiz ein sehr hohes Qualitätsniveau in den anerkannten Werkstätten, einwandfreie Instandsetzungen sind die Regel. Deshalb ist bei uns ein Unfall – wenn denn kein Beinbruch mit im Spiel war – meistens kein Beinbruch.
Text: Falk Dirla, Patrick Schiffmann
Bilder: Dirla, MSS-Archiv, depositphotos