Supercross Geneva
Die Organisatoren des Supercross Geneva trafen mit ihren Änderungen ins Schwarze: Die Rennen standen wieder im Mittelpunkt, mit dem «King of Geneva» Marvin Musquin, der sich gegen zwei starke Gegner wehren musste, war ein absoluter Superstar im Programm, und Mat Rebeaud bot eine in dieser Art in der Palexpo-Halle noch nie gesehene Freestyle-Show der Superlative.
Im Laufe der Jahre hatte sich die einstige Magie der ersten Ausgaben des Supercross Genf etwas verflüchtigt. Einen ersten Aufwärtstrend gab es dank der Integration der Freestyle-Sprungshow. Das war die Epoche, als der Rückwärtssalto eines jungen Mannes aus Payerne (Mat Rebeaud) die Zuschauer zum Ausflippen brachte. Kleine Anekdote: Rebaud hatte keine Erlaubnis des damaligen Organisator Daniel Perroud, diesen Sprung zu zeigen, obwohl er ihn bereits mehrfach im Training gestanden hatte. Rebeaud wagte es trotzdem …
Tout pour le freestyle
Damit begann für die Genfer Grossveranstaltung eine neue Ära. Immer mehr Besucher kamen vorwiegend wegen der Freestyle-Show – für jeden dieser Artisten gehört der Backflip längst zum Grundrepertoire – , die Rennen rückten immer mehr in den Hintergrund und schienen nur noch von zweitrangiger Bedeutung zu sein. Die Promotoren, die von Berufs wegen Business-orientiert denken müssen, mussten umdenken, zumal die Supercross-Megastars aus den USA immer höhere Gagen verlangten. Also verzichtete man mehrheitlich auf die US-Cracks beziehungsweise konzentrierte sich marketingmässig auf einen Top-Amerikaner und füllte den Rest des Feldes mit den Teilnehmern der französischen SX-Serie auf. Das grosse Publikum nahm diese Veränderung kaum wahr, und in den Logen wurde wie zuvor fröhlich Champagner getrunken. Nur die Fachleute und eingefleischten Motocross und Supercross-Fans runzelten immer mehr die Stirn.
Eine Frau treibt den Umschwung voran
Doch dann übernahm die rennsportbegeisterte Stéphanie Almazan-Bezon die Zügel. Sie wollte dem Event rasch ihren Stempel aufdrücken und vor allem die Rennen wieder zu neuem Leben erwecken. Und Stéphanie Almazan-Bezon hatte Erfolg: Mit Marvin Musquin (KTM) und Jason Anderson (Husqvarna) brachte sie zwei der Favoriten für die am 6. Januar in Anaheim (Kalifornien) beginnende US-SX-Serie nach Genf. Superstar Musquin konnte nicht einfach vorne in Ruhe die Siege abräumen, sondern musste zur Freude des Publikums gegen den hart angreifenden Anderson alle Register ziehen. Der dritte schnelle Amerikaner und frühere Supercross-König, Justin Brayton (Honda), wurde zwar am Freitag und Samstag Dritter, konnte aber nicht ganz mit dem entfesselten Top-Duo Musquin/Anderson mithalten. Doppelsieger Musquin selbst war ebenfalls begeistert: «Ein besseres Training für die in Kürze beginnende US-Meisterschaft hätte ich mir nicht vorstellen können.» Der Franzose und frühere MX2-Weltmeister (2009) hat damit wie Brayton bereits zum vierten Mal den Titel «King of Geneva» eingefahren.
Ricky Carmichael und ein E-Crosser
Parallel zu den auf sehr hohem Niveau ausgetragenen Rennen wurden die Fans und europäischen Fahrer mit der Präsenz von Ricky Carmichael (38), dem früheren absoluten Superstar der US-SX-Szene, verwöhnt. Obwohl der GOAT (Greatest of All Times) in der Zwischenzeit etwas Speck angesetzt hat, begnügte er sich keineswegs mit Promotionsauftritten. Er begleitete eine Nachwuchsgruppe von Jünglingen mit 65-cm3-Bikes live mit seinem eigenen Motorrad, was für die Jünglinge für immer ein unvergessliches Erlebnis bleiben wird.
Das war aber noch nicht alles: Der kalifornische Hersteller Alta Motor gab mit einem E-Crosser mit Josh Hill im Sattel seine Europa-Premiere. Hill absolvierte zwar pro Tag nur je einen Vorlauf , war aber dennoch beeindruckt: «Die Beschleunigung vom Balken weg ist sensationell. Nachher wird es schwierig, man muss wohl lange trainieren, bis man dieses Bike versteht. Das Entwicklungspotenzial ist jedoch zweifellos enorm. Die Absenz des Motorgeräuschs hat Vorteile, man kann sich beim Fahren problemlos mit de Kumpeln unterhalten …»
Freestyle-Show vom Feinsten
Und wie schlugen sich neben diesem Supercross-Feuerwerk die Freestyler? Genauso spektakulär! Den Besuchern wurde von Mat Rebeaud und Co. das grösste Spektakel geboten, das je in Genf zu sehen war. Höhepunkt war der zweifache Backflip des Neuseeländers Levi Sherwood, der aktuellen Welt-Nummer 1 der Disziplin. «Bei uns gibt es keine Limiten, es werden immer wieder neue Tricks kommen», erzählte Sherwood. Und die Schweizer? MXGP-Pilot Arnaud Tonus fehlte wegen einer vor zwei Wochen im Training erlittenen Hirnerschütterung. Also musste der mehrfache MX2-Schweizermeister Killian Auberson die Kastanien aus dem Feuer holen. Er tat das mit einem soliden dritten Gesamtrang in der SX2-Klasse. Auberson schwankte zwischen Stolz und leiser Enttäuschung: «Wegen der Verletzungen zu Saisonende konnte ich kein Wunder erwarten. Aber ich war ziemlich flink unterwegs und habe seit der Zeit, als ich Rennen in der SX-Tour gewann, kaum Speed verloren.» Auberson reist nun in die USA und wird dort die ersten sechs SX-Lites-Meisterschaftsrennen bestreiten.