Motorradreise Frankreich | Pyrenäen
Die Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien sind ein beliebtes Ziel für Töfftouristen. Wir nahmen die weite Reise durch Frankreich auf Kawasakis neuem Kompressor-Sporttourer Ninja H2 SX SE in Angriff und lernten dabei noch viel mehr vom westlichen Nachbarn kennen als nur die Pyrenäen.
Die Sonne ist gerade hinter einem der bewaldeten Hügel untergegangen, es geht ein leichtes Lüftchen und doch ist’s immer noch richtig heiss. Ich sitze mit meinem Kumpel auf dem Dorfplatz von Morez – einer kleinen Stadt im französischen Jura, die sich vor allem wegen ihrer Brillen und Uhren einen Namen gemacht hat. Von der Blütezeit der Industrialisierung ist heute nicht mehr viel zu spüren. Auf dem Platz gibt’s ein Burger- und Pizza-Restaurant und eine Bar. Wir verdrücken einen hervorragenden Burger, aus der Bar nebenan ist leise der französische Kommentar zu einem WM-Spiel zu vernehmen, ansonsten ist’s ziemlich ruhig.
Ein idealer Zeitpunkt, die vergangene Woche Revue passieren zu lassen – hinter uns liegen rund 2600 kurven- und höhenmeterreiche Kilometer durch die Grande Nation, mit kurzen Abstechern nach Spanien und Andorra. Morgen geht’s dann wieder nach Hause, zurück ins Berner Oberland, zurück zum Ausgangspunkt nach Thun.
Zeitreise
Wir spulen fünf Tage zurück. Aus dem Berner Oberland brechen wir in Richtung Süden auf. Ziel: Pyrenäen. Aus Zeitgründen – wir können erst am Nachmittag los und wollen am ersten Tag noch Valence erreichen – entscheiden wir uns für die Autobahn. Etwas langweilig, zumindest für mich, aber nicht sonderlich tragisch. Denn ich lasse meine italienische Diva – meine geliebte MV Agusta Brutale 800 – zu Hause in der Garage und nehme die Reise mit einem Testmotorrad in Angriff.
Einem «tourentauglichen Bike mit ordentlich Dampf», wie ich es für diese Reise gesucht und in der neuen Kawasaki Ninja H2 SX SE auch gefunden hatte. 200 PS aus einem kompressorgeladenen Reihenvierer, kombiniert mit äusserst hochwertigen Fahrwerkskomponenten, potenten Bremsen und sportlichen Bridgestone-S21-Reifen sollten reichen, um dem Kollegen auf der Aprilia Tuono V4 1100 RR – dem wohl sportlichsten Naked-Bike überhaupt – paroli zu bieten.
Darüber hinaus soll sie natürlich auch ein massives Plus an Komfort, gerade auf langen Autobahnetappen wie dieser, generieren. Und trotz durchaus komfortablem Autobahnritt – auch dank des Tempomaten – empfehle ich allen, die etwas mehr Zeit mitbringen, die Reise beispielsweise via Jaunpass, entlang der französischen Seite des Genfersees und über Landstrassen in Angriff zu nehmen.
Töffparadies auf dem Weg
In Valence übernachten wir günstig, unkompliziert und mit wenig Charme im Ibis Budget nahe der Autobahn. Da kommt zwar kaum Ferienstimmung auf, aber wir kommen spät an und wollen früh wieder los. Am nächsten Morgen lassen wir den direkten Weg Richtung Pyrenäen über die Autobahn links liegen und machen uns auf in die direkt an Valence grenzende Ardèche.
Die Ardèche gehört zum Massif Central, steht grösstenteils unter Naturschutz und ist ein Töffparadies, das zu erkunden allein schon mehrere Tage Töffurlaub rechtfertigen würde. Doch dafür haben wir leider keine Zeit. Den Tag, den wir für die Fahrt durch die Ardèche einsetzen, lohnt sich aber allemal.
Ab Privas lassen wir uns vom Navi über «kurvenreiche Strecken» mitten in die Ardèche hineinleiten. Da unser Garmin aber etwas gar kleine Strässchen wählt, verlassen wir uns schliesslich wieder auf die veraltete Kartentechnik und suchen uns den Weg analog. Über die D116, die D122 und die D16 – übrigens alles hervorragende Töffstrassen – gelangen wir kurz nach Mittag ins kleine Örtchen Pradelles.
Auf dem von alten Häusern gesäumten Dorfplatz nehmen wir im kleinen Restaurant «Le Passage» ein Mittagessen zu uns. Es gibt zwei Menüs zur Auswahl: je drei Gänge bestens zubereitete französische Kost für rund 11 Euro. Ein Halt in Pradelles lohnt sich allemal.
Ein Hoch auf die Autobahn
Mit vollem Magen setzen wir die Fahrt auf der N88 fort. Breit und vielbefahren, unterstreicht sie die Mittagsmüdigkeit geradezu. Doch schon in Les Salelles verlassen wir die dicke Nationalstrasse wieder und biegen ein auf die D809.
Welch geniales Stück Asphalt! Sehr gut ausgebaut und mit etlichen Kurven versehen verleitet sie förmlich zum dynamischen Fussrastenschleifen. Auch weil sie vom Verkehr grösstenteils verschont bleibt. Quasi parallel zur D809 wurde nämlich vor noch nicht allzu langer Zeit eine Autobahn eröffnet, so bedienen sich heute praktisch nur noch Genussfahrer oder in kleinen Anreiher-Ortschaften Beheimatete der D809.
In Millau wechseln wir auf die D999, welche uns via St-Affrique nach Albi, zu unserem Quartier für die Nacht, bringt. Auch hier landen wir, getrieben von der Suche nach einem abgeschlossenen Parkplatz – die Geschichten zahlreicher gestohlener Motorräder im Süden Frankreichs geistern nach wie vor in den Köpfen umher –, wiederum in einem Ibis-Hotel.
Dieses liegt mitten in der Stadt, ist relativ günstig und bietet eine gesicherte Einstellhalle. Albi selbst ist eine typisch französische Stadt. Auf dem grossen Stadtplatz tummeln sich Einheimische und Touristen, in den Bistros gibt’s gutes Essen zu moderaten Preisen und im Irish-Pub um die Ecke läuft Fussball.
Fast wie in den Alpen
Nun geht’s in die Pyrenäen. Wir nehmen bis Foix die Autobahn, fahren danach weiter gen Ax les Thermes, von wo aus wir den ersten echten Pyrenäenpass in Angriff nehmen. Der Col de Pailhères führt uns auf der Seite von Ax relativ gut ausgebaut in etlichen Kurven und Kehren hoch bis auf die 2001 Meter über Meer gelegene Passhöhe.
Der Pass ist vor allem bei Fahrradfahrern beliebt und überrascht gerne auch mal mit verschmutzter Fahrbahn und Unebenheiten. Hier ist höchste Konzentration angesagt. Selbiges gilt auch für die Abfahrt auf der anderen Seite. Zwar ist die Strasse hier grundsätzlich sauberer, aber auch um einiges schmäler: Zwei Autos kommen hier auf keinen Fall aneinander vorbei. Doch wir haben Glück und treffen lediglich auf ein paar Fahrradfahrer. Der Col de Pailhères ist nichts für Passanfänger und stellt so auch den ersten wirklichen Härtetest für die Ninja H2 SX SE dar.
In den langgezogenen Kurven der Ardèche war die so richtig zu Hause und machte unglaublich Spass. Und auch hier, im sehr engen und kurvigen Gelände, gibt sich das japanische Biest keine Blösse. Spielerisch lässt sich diese Ninja auch um die engsten Spitzkehren dirigieren, nur um dann wieder rabiat rauszubeschleunigen, wobei sie ihr unverkennbares Zwitschern von sich gibt.
Dieses Pfürrrrr ist kaum in Worte zu fassen, hört sich aber wirklich am ehesten wie ein Zwitschern an und entsteht, wenn bei hohen Drehzahlen das Gas geschlossen wird und der überschüssige Ladedruck des Kompressors entweicht. Als Geräusch zwar nicht wirklich schön anzuhören, macht dieses Zwitschern dennoch einen Haufen Freude.
Warum? Es bestätigt dem geneigten Piloten, dass er sich jetzt wirklich im Power-Modus befindet und richtig am Hahn gezogen hat. Einzig auf der Bremse, vor allem bergab, ist das Gewicht der Kawa zu spüren. Die Bremsen funktionieren zwar hervorragend, aber 256 kg (ohne Gepäck) wollen erstmal von 100 auf 30 km/h gebremst werden.
Alkohol und Tabak
Am Fusse des Passes angekommen führt uns der Weg weiter nach Formigueres, ein kleines Pyrenäenörtchen, das wohl vor allem im Winter doch einige Touristen anlockt. Jetzt, Ende Juni, ist es relativ ruhig, und wir verspeisen auf dem Dorfplatz den hervorragenden Tagesteller, den der Wirt extra für uns aus dem Ärmel zaubert – die Küche öffnet eigentlich erst abends.
Weiter geht’s über kleine Strässchen – hervorzuheben sind hier sicher die D4 und die D4C, wo auch das Einsteigerbild entstand – nach Olette, über Mont Louis und Puigcerda jenseits der spanischen Grenze, bis nach Andorra.
Dieser flächenmässig grösste der sechs Zwergstaaten Europas – dazu zählen noch der Vatikan, Monaco, San Marino, Liechtenstein und Malta – bezieht sein Haupteinkommen aus Wintersport- und Einkaufstouristen. Andorra ist nämlich eine Steueroase: Benzin, Zigaretten, Kosmetika und vor allem auch Treibstoff kosten hier bedeutend – beim Benzin sind’s rund 70 Rappen pro Liter – weniger, als in den Nachbarländern Spanien und Frankreich.
Dementsprechend verkauft auch fast jedes Geschäft, selbst Kleider- oder Uhrenläden, nebenbei noch Zigaretten und Alkohol. Auch Tankstellen gibt es zuhauf. So auch auf dem Port d’Envalira, dem mit 2408 m höchsten ganzjährig geöffneten Pass Europas, der die Grenze zwischen Frankreich und Andorra darstellt. Nur wenige hundert Meter hinter der Grenze finden sich hier sage und schreibe drei Tankstellen – zwei davon auf dem Gipfel – mit total etwa 25 Zapfsäulen.
Technische Probleme
Viel mehr als den Port d’Envalira sehen wir an diesem vierten Tag allerdings nicht. Die Gabel des Kollegen verliert Öl, nicht sonderlich viel, aber der Simmerring ist nicht mehr wirklich dicht. Zum Glück gibt’s in Andorra mehrere Garagen. Problem: Niemand will einen Simmerring für die USD-Gabel der Tuono auf Lager haben. Ähnlich klingt’s am Telefon mit den drei nahegelegensten Aprilia-Vertretungen auf französischer Seite: Entweder haben sie kein Ersatzteil, keine Zeit oder, wie ich aus den Gesprächen schliesse, schlicht keine Lust. Kundenfreundlich geht anders.
Da die auslaufende Ölmenge aber relativ gering ist, entscheiden wir uns, am nächsten Tag dennoch weiterzufahren, aus Sicherheitsgründen aber nicht mehr in den abgelegenen und hohen Pyrenäen, sondern durch Okzitanien und die Auvergne wieder in Richtung Heimat. So wird aus der Pyrenäen-Tour eine Tour de France, mit Abstecher in die Pyrenäen und nach Andorra.
Okzitanien und die Auvergne
Zuerst führt uns die Autobahn dabei bis nach Cahors in der Region Okzitanien. Cahors hat rund 20 000 Einwohner, eine wunderschöne Altstadt und viele niedliche Bistros zu bieten. Hier lohnt es sich, einen etwas längeren Mittagsstopp einzulegen.
Weiter geht’s über die D653 bis Figeac, danach auf die N122 bis Aurillac und schliesslich via die D922 bis zum Tagesziel Mauriac. Diese Gegend ist zwar nicht von Bergen durchzogen, bietet aber trotzdem Kurvenspass satt. Die Strassen ziehen sich in weiten Teilen entlang von Flüssen und Bächen, durch kleine Schluchten und über sanfte Hügel. Spitzkehren sucht man hier vergebens, wunderbar langgezogene Richtungswechsel gibt’s aber zuhauf.
In Mauriac übernachten wir im kleinen «Auv’ Hôtel», einer gemütlichen Bleibe mit freundlicher Besitzerin, gutem Frühstück und dazugehörigem Parkplatz zum fairen Preis. Für Geschichts- und Architekturinteressierte lohnt sich hier ein Besuch der im 12. Jahrhundert erbauten Kathedrale «Notre Dame des Miracles» direkt am Dorfplatz. Gleich angrenzend, auf ebendiesem Dorfplatz gibt’s im Restaurant auch am Abend ein Dreigangmenü für knapp 15 Euro – Preis-Leistung top!
Gesperrte Strassen und Jura-Kurven
Tags darauf geht’s dann weiter in Richtung des französischen Jura. Auf der Karte haben wir uns einige wunderbare Strassen rausgesucht, müssen aber gleich dreimal umplanen, weil die bevorzugte Strasse gesperrt ist. Nichtsdestotrotz ist die Fahrt durch diese von Landwirtschaft und grünen Hügeln geprägte Landschaft, wo es praktisch keinen Verkehr zu geben scheint, ein tolles Erlebnis. Auch eine imposante Sehenswürdigkeit liegt mit der «Abtei La Chaise-Dieu», gelegen im gleichnamigen Ort, am Weg.
Da wir nun aber noch etwas Boden gutmachen müssen, biegen wir bei St-Etienne erneut auf die Autobahn ein, umfahren Lyon und verlassen das breite Asphaltband in Oyonnax in Richtung des französischen Jura.
Was ein Kurvenrausch! Der französische Jura setzt diesem Tag das Sahnehäubchen auf, hier reiht sich Kurve an Kurve, und Stau ist ein Fremdwort. So vergessen wir etwas die Zeit und machen uns erst relativ spät auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht. Wir landen in Morez und machen uns hungrig auf zum Dorfplatz …
Text | Patrick Schiffmann
Bilder | Fabian Spycher, Schiffmann