MotoGP – ausgerechnet Suzuki
Der junge Spanier Joan Mir ist MotoGP-Weltmeister. Er und Suzuki besiegten also Honda, Yamaha, Ducati und KTM. Und das, obwohl Suzuki marktmässig seit Jahren gegen diese Marken hinten anstehen muss.
Auf den ersten Blick mutet der MotoGP-Weltmeistertitel von Suzuki im Corona-Jahr 2020 mit dem 23 Jahre jungen Spanier Joan Mir des Teams Suzuki Ecstar unwirklich an. Denn Suzuki, die Nummer 4 des japanischen Kleeblatts, ist marktmässig seit Jahren auf dem Rückzug. Zumindest in Europa.
Suzuki bringt selten bis nie wirklich Neues. Streicht Modell um Modell – so beispielsweise die GSX-S 750 und die GSX-R/GSX-S 125, die beide nicht auf Euro5 gebracht werden und somit Ende 2021 auslaufen. Verliert Rang um Rang in der Markenhitparade und schafft es in allen europäischen Ländern nur noch auf unter «Ferner liefen» (in der Schweiz aktuell auf Rang 11).
Auch bei uns sind in den vergangenen Jahren viele Fachhändler mangels konkurrenzfähigem Suzuki-Modellprogramm gezwungenermassen auf andere Fabrikate umgestiegen oder haben diese zusätzlich ins Haus holen müssen, um das Überleben zu sichern.
Verwalten statt gestalten
Doch auf den zweiten Blick wird eine andere Strategie erkennbar. Hamamatsu konzentriert sich – wie bereits im Automobilbau sehr erfolgreich – auf die aufstrebenden Megamärkte in Asien und Indien und lässt die technisch anspruchsvolleren Märkte in Europa mehr oder weniger links liegen. Man denkt nicht mehr an Hypersuper-Technik, sondern an riesige Stückzahlen mit preisgünstigen, einfach gestrickten Commuter-Bikes.
Eine Strategie, die bis vor wenigen Jahren auch Honda verfolgt hatte. Hatte, weil die Japaner merkten, dass man die Traditionsmärkte eben doch nicht vernachlässigen darf. Es folgten ein Strategiewechsel und mit ihm die neue Gold Wing, die neue Africa Twin und die neue Fireblade – alles absolut hervorragende Motorräder.
Doch woher kommt respektive kam diese Strategie des Verwaltens? Sowohl Honda als aber vor allem auch Suzuki wurden von der Finanzkriese 2007/2008 hart getroffen, mussten ihre Investitionen auf Eis legen. Vor allem Suzuki scheint sich immer noch in dieser „Sparstarre“ zu befinden. Hinzu kommen bei Suzuki die enorm hohen Investitionen in das neue Motorrad-Produktionswerk im Landesinnern; nach dem Tsunami (Fukushima) hat Suzuki entschieden, die Produktionsstätte weg von der Küste zu verlegen. Wir waren 2018 vor Ort und konnten die neue Anlage besichtigen, die derer der europäischen Hersteller in nahezu nichts nachsteht.
2020: MotoGP zur Imagepflege
Die Highend-Technik-Spielwiese MotoGP dient Suzuki aktuell also vor allen Dingen zur Imagepflege. Und das lässt man sich einiges kosten. Das Superbike GSX-R 1000 fungiert zwar noch im Modellprogramm, ist aber – abgesehen vom günstigen Preis – mittlerweile von jüngsten Erzeugnissen der japanischen und europäischen Konkurrenz distanziert worden. Und für 2021 hat man von Suzuki bezüglich Neuheiten – abgesehen von neuen Farben – bisher nichts, wirklich gar nichts gehört. WM-Titel hin oder her.
2000: Kenny Roberts
Exakt 20 Jahre ist es her, dass Kenny Roberts Jr. – auf einer Zweitakt-500er – den letzten WM-Titel für Suzuki in der Königsklasse holte. Roberts distanzierte damals einen gewissen Valentino Rossi, der 2000 erstmals in der Königsklasse antrat, um 49 Punkte. Damals war Suzuki marktmässig in Deutschland auf Platz 2 hinter BMW noch ein Big Player am Markt, und auch in der Schweiz war der dritte Platz in der Hierarchie hinter Yamaha und Honda auf sicher. Doch das ist längst Vergangenheit.
1993: Kevin Schwantz
Bereits zuvor, in den 1990er Jahren, zählte Suzuki zu den Dominatoren auf den Märkten Europas. Die Bandit-Modelle mit 600 bis 1200 ccm Hubraum und natürlich das immer topaktuelle GSX-R-Sportprogramm standen in den Modellhitparaden immer ganz weit oben. Auf der Rennstrecke fieberten die Suzuki-Fans mit dem Volkshelden Kevin Schwantz mit, der sich 1993 gegen seine amerikanischen Landsleute Eddie Lawson und Wayne Rainey (der in Misano schwer stürzte) durchsetzte und Suzuki die 500er-Krone schenkte.
1976/77, Barry Sheene, 1981 Marco Lucchinelli, 1982 Franco Uncini
Zuvor, in den 1970er Jahren, war der wilde, Jetset-verliebte und insbesondere der weiblichen Anhängerschaft zugetane Barry Sheene der Chef im 500er-Ring. Dem charismatischen Kettenraucher gelang es 1976 und 1977, mit der damals revolutionären Square-Four-Suzuki RG 500, zwei WM-Titel zu holen.
Danach schafften es noch die beiden Italiener Marco Lucchinelli (1981) und der heutige MotoGP-Sicherheitsverantwortliche Franco Uncini (1982), die wichtigste aller Asphaltmeisterschaften auf zwei Rädern für Suzuki zu gewinnen.
Suzuki wurde fast Konstrukteurs-Weltmeister?
Übrigens: Trotz des seit Jahren andauernden marktmässigen Abstiegs in Europa sieht es 2020 sah es bis zuletzt so aus, als würde Suzuki nach der Fahrer-WM mit Joan Mir und der Team-WM mit Suzuki Ecstar auch den Konstrukteurs-Titel abräumen. Der Stand vor dem WM-Finale in Portimão lautete: 1. Suzuki und Ducati, je 201 Punkte. 3. Yamaha, 188. 4. KTM, 175. Das letzte Mal, als die Hersteller-Krone bei Suzuki in Hamamatsu landete, war in der Steinzeit bzw. 1982. Doch auch diesmal klappte es nicht. Mir gab ohne Traktionskontrolle auf und Rins fiel bis auf Rang 15 zurück. Damit landete Suzuki schliesslich hinter Ducati und Yamaha auf Rang 3.
Und wer weiss: Vielleicht erbarmt sich ja Hamamatsu nach dem WM-Topferfolg wieder uns armen Europäern und bringt in Bälde wieder ein paar neue oder gründlich überarbeitete Modelle für die immer noch zweifellos vorhandene, treue Suzuki-Kundschaft.
Die bisherigen Suzuki-Weltmeister:
500cm3 / MotoGP: Joan Mir (2020), Kenny Roberts Jr. (2000), Kevin Schwantz (1993), Marco Lucchinelli (1981), Franco Uncini (1982), Barry Sheene (1976/77).
125 cm3: Dieter Braun (1970), Hugh Anderson (1963/65).
50 cm3: Hans-Georg Anscheidt (1966/67/68), Hugh Anderson (1963/64), Ernst Degner (1962).
Bilder: motogp.com