Honda NT1100 im Test – stärker & schnittiger
Die Tourenmaschine Honda NT1100 nimmt das Jahr 2025 motorisch gestärkt, mit ausgefeilteren Fahrassistenten und aufgefrischtem Make-up in Angriff. Optional ist jetzt auch ein elektronisch geregeltes Fahrwerk von Showa erhältlich. Im ersten Test musste sich die neue Honda NT1100 unter Beweis stellen.
Die Honda NT1100 im heutigen Test wurde für lange Touren gebaut, soll aber auch im Alltag und auf der sportlichen Runde taugen. Schubladisieren lässt sie sich dabei kaum, wie ein kurzer Rundumblick zeigt. Denn, um sich mit dem Töff komfortabel auf eine lange Tour oder sogar auf die grosse Reise zu machen, gibt es heutzutage eine riesige Auswahl an Modellen beziehungsweise Motorradkonzepten. Von Reiseenduros über Crossover, Sporttourer und Cruisern bis hin zu den klassischen Full Dressern à la Gold Wing drängen alle in den Reisebereich.
Und wo reiht sich jetzt da die NT1100 ein? Gar nicht so einfach, denn ein entsprechendes Segment mit einer gewissen Auswahl existiert kaum. Eins ist klar, für Einsätze auf unbefestigten Strassen wurde sie nicht gebaut, denn nur schon die Metzeler Roadtec 01 Bereifung ist sowohl von der Dimension wie auch von der Bauweise her klar für eine knackige Strassenlage auf Asphalt konzipiert. Von der allgemeinen Fahrdynamik und den Dimensionen aus gesehen geht die Honda NT1100 im heutigen Test eher in Richtung Sportlichkeit – jedoch ohne Stummellenker, sondern mit einer optimal positionierten Lenkstange.
Und optisch? Da geht sie im Vergleich zum Vorgängermodell mehr in Richtung Motorrad, obwohl sie von vorne gesehen eine gewisse Roller-Formensprache nicht verbergen kann. Das mit der Schubladisierung klappt also nicht und das ist auch ganz ok. Denn das Motorradvolk ist tendenziell ja sowieso eine Spezies, die auf Individualität und persönlichen Geschmack Wert legt. Und spätestens, wenn man im Sattel sitzt und sich wohlfühlt, kann einem die ganze Segmentierung herzlich egal sein.
Modellpflege für die Honda NT1100
Die Honda NT1100 im Test kommt jetzt nicht nur schnittiger designt daher, auch ihre inneren, also technischen Werte sind aufs neue Jahr weiterentwickelt worden. Um nicht zu theoretisch zu werden, legen wir doch direkt mit der ausgiebigen Tagestour im spanischen Andalusien los und erfahren wortwörtlich die Neuerungen. Unsere Testmaschine ist voll ausgestattet, was das überarbeitete – und von der Africa Twin übernommene – DCT (Doppelkupplungsgetriebe) sowie neu das elektronische Fahrwerk beinhaltet.
Schon bei der ersten Tuchfühlung im Stand fällt die bequeme und gleichzeitig fahraktive Sitzposition auf. Das intuitiv vertraute Fahrgefühl stellt sich ab den ersten Metern ein. Unaufgeregt und souverän geht es durch den spanischen Verkehr. Gerade im Alltagsgebrauch sowie im Stop-and-Go schaltet die Getriebeautomatik spürbar verschliffener als die des Vorgängermodells. Es stehen dabei vier verschiedene Modi zur Auswahl, von sanft bis knackig. Bei Autonomiebedarf kann jederzeit die manuelle Gangwahl (via zwei Druckknöpfen links am Lenker) aktiviert werden. Der Aufpreis für das DCT beträgt für die gebotene Technik faire 840 Franken, da kann man selbst entscheiden, ob sie einem das wert ist.
Die Strassen werden im Hinterland von Malaga weiter, leerer und kurviger. Wollen wir doch mal den sportlichen Kompetenzen der Honda auf den Zahn fühlen. Hier begeistert der, ebenfalls von der Africa Twin übernommene, Reihenzweizylinder mit nun deutlich kräftigerer Mitte. Obwohl die Höchstleistung mit 102 PS gleichgeblieben ist, spürt man den Drehmomentzuwachs von 7 % deutlich. Zudem liegen die bärigen 112 Nm jetzt bei tieferen 5500/min an. Erstaunlich, wie sich das zum Vorgängermodell vermeintlich fast gleiche Datenblatt in der Praxis durch deutlich mehr Dampf in allen Lebenslagen unterscheidet. Von der neuen 6-Achsen-IMU, welche unter anderem mit dem Kurven-ABS, der Traktionskontrolle und dem DCT korrespondiert, bekommt man kaum was mit, was in der Regel ein gutes Zeichen ist, denn so wirkt das elektronische Sicherheitsnetz in Notsituationen, hat aber keine störenden Einflüsse.
Honda NT1100: Kurvenspass? Ja, aber…
Nun kann auch das 800 Franken aufpreispflichtige, elektronische Fahrwerk zeigen, was es kann. Ein grosser Vorteil dieser Technik ist, dass man zur Einstellung der Federelemente kein Werkzeug und praktisch auch keine Zeit braucht. Je nach Streckenverlauf, Asphaltqualität oder Fahrstil kann die Dämpfung (hinten zudem die Vorspannung) individuell abgestimmt werden. Es stehen vier vorprogrammierte Varianten zur Verfügung, plus ein Speicherplatz für das persönliche Setting. Ein weiterer Pluspunkt ist das aktive «Mitdenken» des Fahrwerks, welches sich alle 15 Millisekunden den Gegebenheiten anpassen kann.
In der Praxis hinterlässt das Fahrverhalten einen harmonischen und grundsoliden Eindruck. Das Feedback von der Strasse ist guter Durchschnitt, könnte aber ruhig einen Tick transparenter sein. In diesem Punkt sind konventionelle Federelemente keineswegs im Nachteil. Der grösste Kritikpunkt bei sportlicher Fahrweise ist die etwas eingeschränkte Schräglagenfreiheit, denn die relativ tief angebrachten Fussrasten kratzen deutlich vor der Haftgrenze der hervorragenden Metzeler-Pneu. Mit erhöhter Vorspannung des Federbeins kann dieser Störfaktor um einiges minimiert werden, doch diese Massnahme geht auf Kosten des Komforts. Nur Lob ernten wiederum die Bremsen, denn Dosierung und Wirkung sind top.
Allzeit reisebereit
Doch die Kernkompetenz der Honda NT1100 in diesem Test ist ja auch nicht das Rasen, sondern das Reisen. Und dafür ist sie schon in der Basisversion mit manuellem Getriebe und konventionellem Fahrwerk bestens gerüstet. Das einhändig in fünf Positionen während der Fahrt einstellbare Windschild ist neu gestaltet, ebenso wie die serienmässigen Seitenkoffer, welche jetzt noch mehr Gepäck aufnehmen können. Optional gibt es unter anderem ein passendes Topcase mit Rückenlehne. Tempomat sowie Griffheizung mit überzeugender Power sind schon inklusive.
Im Laufe des langen Testtages überzeugt die Honda klar mit ihrer Langstreckentauglichkeit. Der Windschutz passt, denn auch bei Autobahntempo entstehen keine nennenswerten Verwirbelungen. Die Sitzposition lässt einen selbst nach Stunden im Sattel stets entspannt absteigen, dasselbe darf mit gutem Gewissen vom hinteren Sitzplatz behauptet werden. Eine Tankfüllung reicht für rund 400 km, was beispielsweise beim «Kilometerfressen» auf der Autobahn nicht unerheblich ist. Insgesamt gibt es im Fahrbetrieb nichts wirklich Störendes oder gar Nerviges, wie beispielsweise Vibrationen oder Klappern, zu eruieren. Zudem ist die Honda-typische Qualität, beziehungsweise Funktionalität uneingeschränkter Teil der NT1100-DNA.
Zwei Punkte schaffen es dann doch noch auf die Minusliste. Da wäre die vorhin gelobte Windschutzscheibe, denn der Verstellmechanismus funktioniert im Stand und bei niedrigen Geschwindigkeiten einwandfrei. Spätestens ab der 100er-Marke ist der Winddruck auf die Scheibe aber so gross, dass man mit der linken Hand vergebens am Einstellhebel zieht und schiebt. Da wäre eine elektrische Lösung wesentlich komfortabler und zielführender. Der zweite Punkt betrifft die überbordenden Bedienelemente an den beiden Lenkerarmaturen. Insgesamt 26 Knöpfe und Schalter, wovon einige sogar noch in mehreren Richtungen bedienbar sind, überfordern schon im Stand, geschweige denn bei voller Fahrt. Da gibt es von anderen Herstellern einfachere und intuitivere Lösungen. Die Anzeigestruktur im 6,5 Zoll grossen TFT-Touchscreen ist hingegen sehr übersichtlich und schlüssig aufgebaut.
Für wen ist die Honda NT1100?
Diese Japanerin ist nahe dran an der viel zitierten Eier legenden Wollmilchsau. Sie macht in der Stadt ebenso wie auf der Landstrasse oder am Pass eine souveräne Figur. Und für weite Strecken auf Schnellstrassen, gerne auch mit Gepäck im Zweipersonenbetrieb, ist sie in diesem Preissegment sogar etwas vom Besten, was es zu kaufen gibt.
Die Optik hat mit dem 2025er-Modell klar gewonnen, doch für viele wird das eher brave Äussere kaum das ausschlaggebende Kaufargument sein. Da kommt wohl vorher die Faszination an der neuesten und auf sehr hohem Niveau funktionierenden Technik, speziell im Elektronikbereich, sowie die äusserst vertrauensfördernde Benutzerfreundlichkeit zum Zug. Doch nebst all der Vernunftsbetontheit hat diese Honda in Sachen Emotionen immer einen Trumpf dabei: Das ist der potente, wohlklingende und bei Bedarf temperamentvolle Zweizylinder.
Conclusión
Die zweifelsfrei langstreckentaugliche Honda NT1100 verspricht nicht nur auf dem Papier spannende Neuerungen und mehr Kraft, man spürt es definitiv auch im sehr bequemen Sattel. Ob jemand sich für das optionale DCT oder die ebenfalls aufpreispflichtige Electronic Suspension entscheidet, ist eine Frage der persönlichen Präferenzen sowie des Einsatzgebietes. Um dies zu beurteilen, sollte man es aber einmal ausprobiert haben.