Die neuen Vespa GTS-Modelle im Test – mit Video
Als Reminiszenz an die «Big Body»-Vespas der 1960er- und 1970er-Jahre hat Piaggio vor 20 Jahren der «Vespone» einen Renaissance beschert. Seither gab es diverse Entwicklungsstufen der Vespa GTS-Modelle. Das jüngste Update – jenes für 2022 – haben wir in und um die Ewige Stadt für euch getestet.
Zwecks besserem Verständnis starten wir den heutigen Test der neuen Vespa GTS-Modelle mit einem kleinen Exkurs: Seit der Geburt der legendären Vespa im Jahr 1946 hat Pontedera gefühlt hunderte Versionen bzw. Motorisierungen des kultigen Bestseller-Rollers auf den Markt gebracht. Rund 19 Millionen Einheiten konnte Piaggio seit den Anfängen in der Nachkriegszeit weltweit absetzen.
Heute sind vier Modellfamilien am Markt: Der absolute Topseller Primavera, die optisch etwas kantigere und damit auf eine eher männliche Zielgruppe fokussierende Sprint, die noch junge E-Vespa Elettrica und die GTS. Wobei diese Buchstabenkombination für «Granturismo» steht. Gemeint sind hier also die etwas grösseren, langstreckentauglicheren Vespas, wobei die GTS – und nur sie – in zwei Motorisierungen angeboten wird: als 125er mit flüssigkeitsgekühltem Einzylinder-Vierventiler und als konzeptgleiche 300er.
Vespa GTS: zwei Motoren, jeweils vier Varianten
Die GTS, wegen den üppigeren Dimensionen auch «Vespone» (grosse Vespa) genannt, wurde nun für 2022 neu aufgelegt. Wobei für jede Motorisierung jeweils vier Modellvarianten im Angebot stehen (alle ab November 2022 verfügbar): Das Basismodell GTS Classic, die chromverzierte Super, die freche SuperSport mit schwarzen Zierelementen und das Spitzenmodell SuperTech. Die Unterschiede sind dabei primär bei der Optik und bei der Ausstattung zu finden. Alleinstellungsmerkmal der SuperTech ist – neben der Vollausstattung – das aus der Sprint und der Elettrica bekannte 4,3-Zoll-TFT-Display, das hier allerdings ein neues Layout erhalten hat. Zudem ist bei der SuperTech (und bei der SuperSport) das aufpreispflichtige Connectivity serienmässig mit an Bord. Zu guter Letzt ist das Staufach der SuperTech exklusiv mit LED-Leuchte sowie Samtmatte versehen.
Ein Update, das den Namen verdient
Alle GTS-Modelle des Jahrgangs 2022 profitieren von folgenden Neuerungen: Auf der Design-Seite finden wir einen neuen, etwas kantiger gezeichneten Kotflügel, eine moderner designte «Krawatte» sowie aufgefrischte, kombinierte Tagfahrlicht-Blinker-Elemente. Letztere kommen neu ohne Schraubpunkt aus und wirken so deutlich schöner. Auch die seitlich am Beinschild angebrachten Kühlergrills wurden neu entworfen. Die Zierleisten unterhalb der hinteren Seitenhauben, die bis zum nun leichter wirkenden Rücklicht verlaufenden, sind neu kantiger und passen so besser zum Gesamterscheinungsbild. Die verchromten Fassungen der jetzt übrigens näher an den Händen untergebrachten Bedienelemente sind schliesslich als Reminiszenz an die handgeschalteten Vespas zu verstehen. Und neu dürfen sich auch GTS-Fahrer/innen über einen Lenkerknopf zur elektrischen Sitzfachentriegelung freuen.
Mehr Komfort und Keyless-Ride
Der Lenker ist breiter und verspricht so eine bessere Kontrolle. Neu gezeichnet wurde auch die Rückseite des Beinschilds, dessen Handschuhfach eine USB-Ladebuchse beherbergt. Unmittelbar über dem Fach findet sich neu der Startknauf. Denn – richtig – die neuen GTS-Modelle verfügen allesamt über Keyless-Ride mit elegantem Funkschlüssel.
Am Heck wurde der Kennzeichenträger schlanker modelliert. Ebenso der Sattel im vorderen Bereich, was eine bessere Kontrolle beim Abstehen verspricht. Weiter hinten, wo das Sitzfleisch das Fahrergewicht abstützt – wurde die Sitzbank zwecks besserem Komfort dagegen breiter.
Neu: Bremse und Vorderradaufhängung
Auf der rein technischen Seite wurde eine neue Bremspumpe von Brembo implementiert. Die vordere Bremszange ist ebenfalls neu. Am meisten gespannt sind wir allerdings auf die neue Vorderradaufhängung, die bis dato – zumal konzeptionell angestaubt – ein Kritikpunkt an allen Vespas war. Hier wurde eine neue Strebe eingeführt. Lenkachse, Kurzschwinge, Stossdämpfer und besagte Strebe sind nun als Parallelogramm angeordnet. Der Stossdämpfer erfährt so nur noch Längskräfte sprich, er wird von Biege- und Torsionskräften verschont. Ebenso sollen weniger Reibungsverluste anstehen. Und das müsste definitiv in eine bessere Performance münden. Konkret in eine bessere Brems- und Kurvenstabilität sowie – in der Summe – in ein optimiertes Feedback.
GTS-Check in und um Rom
Piaggio servierte uns die neuen GTS-Modelle in Rom. Zunächst ist eine City-Tour geplant. Danach geht‘s aufs Land; hinauf zum Lago di Bracciano und zurück.
Wir starten auf einer SuperSport und zwar auf der 125er. Der Vierventiler zieht schön an, sein Pendant mit drei Ventilen in Primavera und Sprint gibt sich beim Ampelstart allerdings schon etwas kräftiger. Dafür zieht der GTS-Single linearer hoch, nimmt feiner Gas an und hat oben raus mehr schnauf. Für einen Roller, der auch mal für eine Tour aus der Garage genommen werden darf, passt diese gesittetere Art sehr gut. Die beim Kavaliers-Ampelstart deutlich druckvollere 300er bietet mehr Reserven, um sich rasch aus brenzligen Situationen zu manövrieren. Und sie weist auch in puncto Durchschlängeln im Chaos von Down Town Roma keinerlei Nachteile auf, kommt sie doch mit den identischen Dimensionen wie die 125er angerollt. Einzig das höhere fahrfertige Gewicht – 163 versus 150 Kilo – und der Preisunterschied (alle Preise noch offen) sprechen für die «kleinen» GTS-Modelle. Tatsächlich sind die 125er beim Rangieren zugänglicher, generell auch etwas handlicher und somit auch präziser.
Apropos Rangieren: Abstehen geht bei 174 cm Körpergrösse beidseits auf Zehen und Ballen. Die neue Sattelforn zeigt also einen positiven Effekt. Insbesondere auch bezüglich Ausdauer des Allerwertesten.
Start-Stop und neue Federung überzeugen
Zurück zum Antrieb: Positiv überrascht bzw. überzeugt hat uns die Start-Stop-Automatik. An der Ampel stellt der Motor ab, ein leichter Dreh am Gasgriff reicht, und er springt sofort (und leise) wieder an. Ebenfalls zu überzeugen wusste die beim 125er-Motor neu eingeführte Schlupfregelung. Beim provozierten Gasaufreissen auf Sand bzw. Kies regelte das elektronische Assistenzsystem den Vortrieb zuverlässig und sehr geschmeidig ein – tiptop!
Jetzt zum wichtigsten Update – der neuen Vorderradführung: Diese bietet tatsächlich mehr Reserven bei schwierigem Untergrund. Auch bei übleren Löchern schlägt der Stossdämpfer nicht durch, das System bietet damit mehr Komfort sowie Präzision (was sicher auch dem breiteren Lenker zu verdanken ist). Wobei sich insbesondere beim sportlichen Fahren mit der schwereren 300er mehr Souveränität und damit auch mehr Spass einstellt. Operation also geglückt, bravo!
Dann zur neuen Vorderradbremse: Hier sind bei den 125ern kaum Unterschiede zu Primavera & Co. auszumachen. Die Ansprache gibt sich nach wie vor eher mild, die Dosierbarkeit einen Tick transparenter, und die Verzögerung wirkt bei der 300er kräftiger. Eher gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass bei allen vier heute getesteten GTS-Modellen die beiden Bremshebel – einmal an den Druckpunkt gebracht – unterschiedlich nah am Lenkergriff sind; rechts näher als links.
Was sonst noch aufgefallen ist? Egal, ob analog, LC- oder TFT-Display: die Kontraste sind sehr gut getroffen. Schade, dass gewisse Ziffern für Pilotinnen und Piloten, die unter Hypermetropie leiden, schlicht zu klein sind. Und abschliessend ist aufgefallen, dass die neu näher an den Händen platzierten Bedienknöpfe und Schalter tatsächlich problemlos zu erreichen sind. Wobei sich der neue Joystick intuitiv und mit gutem Feedback bedienen lässt. Jetzt noch ein klareres Einrast-Feedback beim Aktivieren des Blinkers, und am Lenker – mit guten Rückspiegeln – passt alles prima.
Conclusión
Die GTS-Familie ist nicht nur optisch zeitgemässer, eleganter und in sich stimmiger geworden. Auch fahrdynamisch lassen sich – bei Bremse und insbesondere kompetenterer Vorderradführung – klare Verbesserungen nachweisen. Wobei die GTS nicht verfälscht wurde, sondern klar ein Original geblieben ist.
Info: vespa.ch