Die neue V4-Ära

Mit Einführung des neuen, vom MotoGP abgeleiteten und «Desmosedici Stradale» genannten V4-Motors geht bei Ducati die V2-Ära zu Ende. Zumindest bei den Hypersportlern. Das neuste Flaggschiff der Roten wird «Panigale V4» heissen und bereits ab nächstem Jahr verfügbar sein. Das R-Modell als Basis für die SBK-WM folgt dann 2019.
Stolze 30 Jahre ist es her, seit der damals noch junge, angehende Ingenieur Massimo Bordi im Rahmen seiner Diplomarbeit bei Ducati die desmodromische Ventilsteuerung in Zylinderköpfen mit Vierventiltechnik und Wasserkühlung implementierte. Es war dies die Geburtsstunde des Desmoquattro-Antriebs, der in der legendären 851 seine Premiere feiern und fortan – in den Modellen 888, 916, 996, 998, 999, 1098, 1198 sowie als «Superquadro» in der 1199 bzw. 1299 Panigale – sämtliche Hypersportler aus Borgo Panigale in der Superbike-WM zu Ruhm und Ehre führen sollte. In Bologna werden seit 1995 aber auch Vierventiler mit «kleineren» Hubräumen entwickelt, angefangen vom V2 der 748 bis hin zum 157-PS-Aggregat der aktuellen 959 Panigale.
Der V4 musste her
Damit ist ab 2018 Schluss, denn die grossvolumigen Hochleistungs-V2 werden nicht mehr in der Lage sein, den immer strengeren Emissionsvorschriften gerecht zu werden. Und so folgt ab 2018 bei den Ducati-Hypersportlern auch in der Grossserie der Schritt in die Vierzylinderwelt – mit dem vom MotoGP-Racer übernommenen und hinsichtlich Strasseneinsatz optimierten «Desmosedici Stradale», der – eingebettet im brandneuen Superbike «Panigale V4» – diesen November an der EICMA vorgestellt werden soll. Freilich handelt es sich um einen V4-Motor mit den für Ducati dogmatischen 90 Grad Zylinderspreizung sowie desmodromischer Steuerung der 16 Ventile. Damit der Desmosedici Stradale auch bei tiefen und mittleren Drehzahlen satten Druck liefert, erhielt er etwas mehr Hubraum als der Wettbewerbsmotor – konkret 1103 cm3. Aus diesen werden bei einer Verdichtung von 14 : 1 eine Nennleistung von über 210 PS (bei 13 000/min) sowie ein max. Drehmoment von mehr als 120 Nm (zwischen 8750 und 12 250/min) generiert.
Die Wasserpumpe wurde platzsparend zwischen den beiden Zylinderbänken untergebracht, was den mittragend im Chassis verschraubten Desmosedici Stradale ausgesprochen kompakt hält. Kommt hinzu, dass das Aggregat wie beim MotoGP-Renner um 42 Grad nach hinten gedreht montiert wird, womit er einen wesentlichen Beitrag zur Massenzentralisierung der Panigale V4 leistet. Mit seinen 64,9 Kilo ist der ohne Ausgleichswellen auskommende V-Block übrigens lediglich 2,2 Kilo schwerer als der deutlich weniger komplexe Superquadro-V2.
Vollgepackt mit MotoGP-Technik
Wie bei der GP17 von Lorenzo und Dovizioso fiel auch beim Desmosedici Stradale die Wahl auf eine gegenläufig rotierende Kurbelwelle. Entsprechend ausgelegt, kompensiert sie einen wesentlichen Teil der gyroskopischen Kräfte, die durch die Rotation der Räder generiert werden. Das Resultat sind ein leichteres Handling, eine Reduktion der Wheelie-Neigung sowie ein Entgegenwirken hinsichtlich «Lift-up»-Tendenz des Hecks beim Herunterschalten und harten Anbremsen. Auch der Kurbelwellen-Hubzapfenversatz von 70 Grad wurde von der GP17 übernommen, wobei in Kombination mit dem 90-Grad-V4-Layout eine Zündfolge von 0-90-290-380 Grad resultiert. Ducati nennt sie «Twin Pulse», weil der Desmosedici Stradale so eine Zündfolge ähnlich jener eines Zweizylinders reproduziert. So liegen zwischen den Zündungen der beiden linken und der beiden rechten Zylinder jeweils exakt 90 Grad Kurbelwellenumdrehung. Der zentrale Vorteil der unregelmässigen Zündfolge gegenüber einem klassischen Screamer-Vierer liegt bei der besseren Traktion insbesondere am Kurvenausgang und damit beim effizienteren Beschleunigungsvermögen (Erklärung siehe Kasten unten). Ein weiteres Novum bei Ducati-Serienmotoren sind die variablen Ansaugtrichter zwecks Optimierung der Füllung in allen Drehzahlbereichen. Die Gemischaufbereitung erfolgt über vier Drosselklappenkörper mit jeweils zwei Injektoren und elliptischen Drosselklappen. Bei tiefen Drehzahlen arbeiten nur die unteren Injektoren; wenn Performance gefragt ist, werden die oberen Düsen dazugeschaltet.
Mehr Traktion dank unregelmässiger Zündfolge Jeder Arbeitstakt bildet mit leichter Verzögerung am Hinterrad eine Zugkraft. Diese ist nicht gleichförmig, sondern pulsierend und bewirkt an ihrem Maximum einen kurzzeitigen Schlupf am Hinterreifen. Bei einem Vierzylinder mit regelmässiger Zündfolge (Screamer) liegen diese «Schlupfpunkte» nun gleichmässig auf der Reifenoberfläche verteilt, womit der Reifen einem «konstanten Stress» ausgesetzt ist. Sind die Zündabstände wie beim Desmosedici Stradale nun ungleichmässig, überlagern sich die Drehmomentspitzen zwar zu einer noch höheren maximalen Zugkraft, der Reifen kann diese in den vergleichsweise langen Ruhephasen aber wieder kompensieren. Er wirkt zusammen mit dem elastischen Anteil des Antriebsstranges wie ein Energiespeicher; die effektiv übertragbare Zugkraft ist so höher. Hinzu kommt, dass der Pilot durch diese Ruhephase eine breitere Marge hat, in der er den Reifen unter Schlupf halten, sprich driften lassen kann. |