Test BMW R 1250 GS
Die neue BMW R 1250 GS hat die R 1200 GS abgelöst. Mehr Hubraum und Schalt-Einlassnockenwellen mit je zwei Nockenpaaren (Shift Cam) heben die Leistung und senken den Verbrauch.
Die Hubraumerweiterung von 1170 auf 1254 ccm ist die Evolution des 2013 eingeführten präzisionsgekühlten Zweizylinder-Boxers mit vertikaler (statt bis dahin horizontaler) Zylinderdurchströmung. Doch der neue Boxer wartet ausserdem mit einer Revolution auf, deren Bedeutung etwa vergleichbar ist mit der einstigen Umstellung von zwei auf vier Ventile pro Zylinder oder der Einführung von Wasser als Kühlmedium.
Die aktuelle „Umkremplung“ präsentiert sich in Form der „Shift Cam“. Frei auf Deutsch übersetzt: „Wechsel-Nocke“. Kurz gesagt, handelt es sich dabei um eine verschiebbare Einlassnockenwelle in jedem der beiden Zylinder. Auf ihr befinden sich für die jeweils zwei Einlassventile nicht mehr nur ein, sondern gleich zwei Nockenpaare: Kleinere Nocken für den Teillastbereich und grössere Nocken für den Volllastbereich.
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Haupteffekt der Massnahmen: Die maximale Leistung stieg von 125 auf 136 PS und das maximale Drehmoment von 125 Nm auf 143 Nm. Zwischen 2000 und 8250 Umdrehungen pro Minute liegen nun immer über 110 Nm an, zwischen 3500 und 7750 sogar über 120 Nm. Zudem sank laut BMW der Benzinverbrauch um bis zu vier Prozent. Freilich gehen mit der (R-)Evolution auch feine optische und weitere technische Neuerungen einher.
Kompromisse und Kniffe dagegen
Variable Ventilsteuerungen machen es möglich, Motoren für verschiedene Last- bzw. Einsatzbereiche zu optimieren. Im Motorradbereich zählen hier die Honda VFR800 (V4-Motor) sowie die Kawasaki 1400GTR (R4-Motor) zu den ersten Vertretern. Wobei sich die beiden Systeme grundlegend unterscheiden. Das VTEC-System der Honda sorgt lediglich dafür, dass bei tiefen Drehzahlen jeweils nur ein Einlass- bzw. Auslassventil pro Zylinder geöffnet wird und sich das zweite Ventilpaar je Zylinder erst bei höheren Drehzahlen zuschaltet.
Bei der Kawasaki dagegen arbeiten immer beide Einlassventile pro Zylinder. Hier bewirkt das VVT (Variable Valve Timing) genannte System, dass sich die komplette Einlassnockenwelle mit oder gegen ihren Drehsinn (also vor oder zurück) dreht und sich so die Öffnungs- und Schliesszeitpunkte der Einlassventile (eben die Steuerzeiten) verändern. So lässt sich über dasselbe Nockenpaar die Zeit beeinflussen, in der die Einlassventile und die Auslassventile am Ende des vierten bzw. zu Beginn des ersten Taktes gleichzeitig offen sind – die sogenannte Ventilüberschneidung.
Nachgezogen sind Ducati 2015 mit der Multistrada 1200 DVT (V2-Motor) und Suzuki 2017 mit der GSX-R1000 (R4-Motor). Auch hier arbeiten Systeme, welche die Nockenwellen vor- oder zurückdrehen lassen, um die Steuerzeiten zu verändern (bei der Ducati sowohl einlass- wie auslassseitig).
BMW: Hin und her statt Drehung
BMW geht einen anderen Weg: Hier dreht sich die Einlassnockenwelle nicht in ihrem Drehsinn, sondern verschiebt sich axial hin und her. So ist es möglich, dass zwei verschiedene Nockenpaare an den Einlassventilen zum Einsatz kommen und so Steuerzeiten und Ventilhübe verändern.
Der Sound aus dem optisch kaum veränderten Serientopf mit zwei kleinen, rechteckigen Endöffnungen ist dezenter geworden, doch der typisch raue Klang blieb erhalten. Im Fahrbetrieb ist er auch nach wie vor zu hören, nur nicht mehr ganz so durchdringend wie in der letzten Generation. Wir finden: Für den Reisebetrieb oder auch sonstige Alltagsmomente stimmt die Anpassung.
Beim Losfahren in urbanem Gebiet gibt sich die GS umgänglich, unkompliziert und wendig wie eh und je. Der Boxer fühlt sich nochmals weicher an als zuvor und die Gänge rasten supergeschmeidig ein. Die hydraulisch betätigte Kupplung lässt sich wie bisher top dosieren und verlangt keine sonderlichen Bedienkräfte. Auf den optional erhältlichen bidirektionalen Quickshifter könnte man somit glatt verzichten. Auf der Strasse erweist er sich vor allem auf eiligen Passagen mit vielen Gangwechseln als Hilfe. Auch, da man die GS – jetzt mehr als je zuvor – selbst schaltfaul äusserst flott bewegen kann.
Unauffällig
Vom „Shift“, dem Wechsel der Nockenwelle, ist weder etwas zu hören noch zu spüren. Insgesamt gefällt der DOHC-Boxer, der unten raus mehr Druck und oben raus mehr Knall hat denn je, mit einer neuen Geschmeidigkeit, die er selbst beim Konstantfahren brav beibehält.
Nach wie vor sind die Fahrmodi „Road“ und „Rain“ serienmässig dabei. Spätestens bei Ausflügen ins Gelände ist man aber froh um die optionalen „Fahrmodi Pro“, die neben dem Modus „Dynamic“ auch die Modi „Enduro“ und „Enduro Pro“ beinhalten, die sich bei unserem über 20 Kilometer langen Abstecher über Stock und Stein bestens bewährt haben.
Die Gasannahme ist besonders weich, die Traktionskontrolle lässt deutlich mehr Schlupf zu und das ABS regelt spezifisch bzw. am Hinterrad gar nicht (Enduro Pro). Wobei es sich als schwierig erwiesen hat, den nicht justierbaren Fussbremshebel stehend zu bedienen. Doch selbst mit alleinigem Bremsen per Handhebel (automatisch optimale Bremsverteilung vorn/hinten im Enduro-Modus) liess sich die GS stets sicher zum Stehen bringen (was in den Strassenmodi auch auf Asphalt gilt). Insgesamt lässt sich auch die Neue spielend abseits der Strasse bewegen, obwohl sie gemäss BMW fünf Kilo zugelegt hat.
Connectivity und Hill Start serienmässig
Mit den Fahrmodi Pro an Bord erhält man zudem ein Kurven-ABS, die dynamische Traktionskontrolle (schräglagenabhängig) sowie den dynamischen Bremsassistenten DBC. Letzterer verhindert das Hochdrehen des Motors, wenn man während des Bremsens unbeabsichtigt das Gas öffnet. Serienmässig verführt die 1250er mit dem bereits bekannten LED-Scheinwerfer – das Tagfahrlicht bleibt, da nicht in allen Märkten zugelassen, optional. Auch die multifunktionale Instrumentenkombination mit 6,5-Zoll-Farbdisplay und Connectivity (Kopplungsmöglichkeit mit dem Smartphone) sowie die Hill Start Control sind nun von Grund auf dabei.
Optische Details
Optisch hat sich die neue GS vor allem in Details verändert. Neben den angepassten Ventildeckeln und den kürzeren Krümmerführungen dürften insbesondere die neuen Kühlerverkleidungen und die geänderten Schriftzüge auffallen. Die aktuellen Standardfarben sind Schwarz oder Blau (jeweils metallic) mit goldeloxierten Telelever-Tauchrohren. Daneben warten die optionalen Style-Varianten «Exclusive» sowie «HP», welche schwarze Telelever-Tauchrohre und goldene Bremssättel aufweisen.
Fazit:
Von den 160 PS ihrer Mitbewerberinnen aus Österreich und Italien ist zwar auch die erneut erstarkte R 1250 GS noch weit entfernt. Dennoch hebt sie der Shift-Cam-Boxer mit nun konstant über 110 Nm (ab 3500/min über 120 Nm) Drehmoment in eine neue Sphäre. Der angegebene Normverbrauch von 4,75 Litern kann sich auch sehen lassen. Im Erstkontakt hat sie jedenfalls gefallen.
Enlace: Die BMW R 1250 GS in Action