Erklärt Tom Lüthi noch diese Woche seinen Rücktritt?
Das Wort „Rücktritt“ ist für Tom Lüthi (34) und sein gesamtes Umfeld tabu. Und doch: Veränderungen im GP-Zirkus in den letzten Tagen wirken sich auf die Moto2-Klasse und seine Karriere aus. Es wäre keine Überraschung, wenn er in den nächsten Tagen seine Karriere neu ordnet und per Saisonende aus dem Rennsattel ins Management umsteigt.
In einer perfekten Welt steigt ein Fahrer nach dem letzten Rennen der Saison von seiner Rennmaschine und erklärt den Rücktritt. Die Welt ist aber auch im Töff-Zirkus nicht perfekt. Wer bis Ende August die neue Saison noch nicht gesichert hat, findet kaum mehr einen Platz zu einem vernünftigen Preis in einem konkurrenzfähigen Team. Das ist auch für Tom Lüthi ein Problem.
Per Ende August muss sein Manager und Freund Daniel Epp mit Teamchef Eduardo Perales klären, ob und zu welchen Bedingungen das zweite Vertragsjahr für die Saison 2022 aktiviert wird. Die Zusammenarbeit funktioniert, es gibt keinen Grund, das Team zu wechseln – und es gibt für Tom Lüthi keine Alternative zu diesem Team.
Die Plätze werden rar
Mehr und mehr zeichnet sich nämlich ab, dass das fixe Starterfeld der Moto2-WM auf nächste Saison um vier Plätze reduziert wird. Wenn das Angebot kleiner, die Nachfrage aber gleichbleibt oder gar grösser wird steigen die Preise. Bei weitem nicht alle Piloten, die nächste Saison in die Moto2-WM einsteigen wollen und konkurrenzfähig wären, werden einen Platz bekommen. Damit stellt sich das Grundsatzproblem: Lohnt sich eine weitere Saison unter diesen Voraussetzungen? Eine weitere Saison, die noch mehr kosten wird als die aktuelle?
Tom Lüthi gehört nicht mehr zu den wenigen Spitzenpiloten, die von den Teams bezahlt werden. Er ist inzwischen ein „Bezahlfahrer“, der Geld in die Teamkasse bringen muss – in der Regel übernehmen die Sponsoren den Einkauf ins Team. Es zeichnet sich ab, dass die Preise für einen Platz in der Moto2 WM 2022 steigen.
Den guten Ruf gilt es zu erhalten
Kommt hinzu: Tom Lüthi hat im internationalen Töff-Business einen exzellenten Ruf. Als Fahrer, aber auch als Persönlichkeit. Er ist nach Valentino Rossi der Fahrer mit den meisten GP, er ist ein guter Kommunikator und Organisator, parliert in mehrere Sprachen und hat ein Beziehungsnetz weit verzweigt wie das Wurzelwerk eines vierhundertjährigen Eichenbaumes. Kurzum: Er bringt alles mit, um ein perfekte Teammanager zu sein.
Aber die begehrten Jobs in den Teams sind rar, sehr rar und werden in den nächsten Tagen vergeben. Es wäre wiederum keine Überraschung, wenn Tom Lüthi in nächster Zeit das Angebot ein deutsches Team ab der nächsten Saison zu managen, wohlwollend prüft. Er ist in der deutschen Rennsportszene so populär und respektiert wie jeder deutsche Fahrer.
Die Resultate sprechen eher für eine Fortsetzung
Am letzten Wochenende hat Tom Lüthi mit Platz 12 im Training und Rang 9 im Rennen das beste Resultat seit mehr als einem Jahr herausgefahren. Mit einem Zug verdreifachte er fast sein Punktetotal von 4 auf 11 Punkte. Seit der Saison 2019 war er rein fahrerisch nie mehr auf dieser Höhe. Aber für einen Podestplatz reichte es trotzdem nicht. Was zeigt: Er könnte nächste Saison wohl noch mithalten. Aber ganz nach vorne reicht es nicht mehr – und damit hat er als 17-facher GP-Sieger und Weltmeister und Sportler des Jahres 2005 sportlich nichts mehr zu gewinnen. Das bedeutet aber auch: Die Chance zu einem ehrenvollen Abschluss seiner Rennfahrerkarriere werden wahrscheinlich nie mehr so gut sein.
Würdiger Abschluss
Tom Lüthi ist ein alter Löwe. Einer der weltweit besten 20 Fahrer der letzten 20 Jahre. Aufgeben? Niemals. Aber er ist auch ein kluger Mann mit einem Horizont weit über das Fahrerlager hinaus. Die Entwicklungen der letzten Tage im Töff-Transfermarkt, die Informationen aus dem Fahrerlager und aus der deutschen Töffszene provozieren die Frage: Beendet Tom Lüthi per Ende Saison seine Karriere? So wie Valentino Rossi?
Es wäre ein würdiger Abschluss einer der grössten Karrieren im Schweizer Motorsport: eine Rücktrittserklärung per Ende Saison im gleichen Monat wie Valentino Rossi (42) , der Grösste der Geschichte.
Text: Klaus Zaugg
Bilder: motogp.com