Ein TÖFF-Leser berichtet: Scrambling Testimania
Testererlebnisse mit den TÖFF-Redaktoren am Comer See. Eindrücke und Einblicke des TÖFF-Lesers Robin Senn in die tägliche Arbeit der Motorrad-Journalisten.
Wenn die TÖFF-Redaktion sich zum Ziel setzt, drei verschiedene Interprätationen von Scramblern 2019 zu vergleichen, dann braucht’s nebst kreativem Schreibertalent viel Organisation, Ortskenntnisse, gutes Wetter und einen professionellen Fotografen – so viel zur Theorie. Wie die Fachleute der Schreibkust einen süffigen, technisch transparenten, emotionalen Töff-Vergleichstest schreiben, überwältigt mich im Detail. Die Testkandidaten sind die BMW RnineT G/S, die Ducati Desert Sled und die Triumph Scrambler 1200 XE.
Als ehemaliger Millennium Volontär beim MotoSportSchweiz MSS pflege ich die guten Bekanntschaften zu den Redaktionen von Töff und MSS seit Jahren. Die stets top motivierten und sich immer aufs Neue selbst erfindenden Journalisten begeistern mich auch heute. Sie leben gekonnt den Spagat vom Fachmann zum aktiven Teil einer rentablen Publizistikmaschinerie. Damit sich heutzutage auf dem Schweizer Markt zwei moderne Motorrad-Fachmagazine behaupten können, ist harte Arbeit auf allen Etagen des Verlegers Galledia gefragt.
Wie entstehen emotionale, freie und stets energiegeladene Vergleichsberichte unter heutigem Zeit- und Gelddruck? Ich behaupte mit Liebe und Passion zum Job sowie den richtigen Menschen und der passenden Organisation. Alleine die Vorbereitungen zu unserem Test sind sehr vielfältig und zügig umgesetzt. Ich hole die stilechte Sicherheitsbekleidung von Held beim Importeur in Thun ab und befinde mich sofort in der Testerwelt. Wie ich sie schon vor 20 Jahren geschätzt habe: Direktes, sehr offenes und freundliches Zusammenarbeiten. Auf einander eingehen, gegenseitige Fotowünsche und Möglichkeiten absprechen.
Spitzenleute auch hinter der Kamera
Die Durchführung eines Vergleichstests hängt vom fototauglichen Wetter und der Verfügbarkeit der Fachleute und Maschinen ab. In unserem Fall kriege ich ein Zeitfenster von drei Tagen, an denen es losgehen kann. Alex Krassovsky, ein Spitzenfotograf aus Frankreich, zeigt in jeder Sekunde seiner Kunst, dass er Profi ist. Sehr fokussiert, aber mit dem nötigen scharfen Humor leitet er uns Testfahrer von Location zu Location. Mit seinem geliehenen Fiat 500 ist er gleich zügig unterwegs, wie wir mit den Motorrädern, wenn’s bergab geht. Eine kurzes Location-Briefing in Varenna am italienischen Comer See reicht, damit sich Alex und der Testchef Michael Kutschke auf mögliche Hotspots beim Landkartenstudium einigen. Ich denke mir, die müssen einen sechsten Sinn haben: Die sehen auf der Landkarte eine ganze Fotostory vor sich ablaufen, wobei ich erst mal schauen muss, wo wir eigentlich sind.
Die Sujets, Positionen und Impressionen werden bei jedem Fotohalt regiemässig mit gekonnt platzierten Hilfsblitzgeräten und Lichtreflektoren in Szene gesetzt. Alex baut in der Natur für jede Szene ein kleines «Fotostudio» auf.
Patrouille Suisse in Formation
Der Leser sieht die wunderschönen Titelbilder mit allen Testmotorrädern auf der Doppelseite. Grundlage für solche Titelfotos ist gekonntes Formationsfahren bei höchster Konzentration. Nach rund 15 Jahren nach meinem letzten Vergleichstest muss ich mich wieder an das sehr präzise Formationsfahren gewöhnen. Die einzuhaltenden Parameter sind Abstand nach vorne und seitlich zum Rad des Kollegen, konstanter Speed, der nur mittels Hinterradbremse so genau dosiert werden kann (Speedkontrolle durch reines Gasgeben sind wegen der Lastwechsel beim Formationsflug zu ungenau), stilechte Körperhaltung auf dem Sattel und Umsicht auf der Strasse. Das gegenseitige Vertrauen und das Lesen der feinen Reaktionen der Kollegen ist wie Formationsfliegen. Wenn wir die Szenen in einer schnellen Kurvenpassage fahren, potenziert sich der Anspruch an Mensch und Fotograf. Hier positionieren wir uns bereits beim Losfahren vor dem Hotspot in einer bewusst verzerrten Staffelung, damit es auf dem Foto perspektivisch in der Kurve liegend harmonisch wirkt.
Bis eine Szene perfekt im Kasten ist, braucht’s oft 3-5 Anläufe.
Drehbuch auf der Strasse
Die verschiedenen „MUSTs“ bezüglich der Sujets sind Standfotos, Detailfotos vergleichbarerer Komponenten wie Bremsen, Tachos, etc., Fahrfotos in der Gruppe und Fahrfotos einzeln. Actionbilder ergänzen den Standard zusätzlich.
Alex zieht das ganze Repertoire heutiger Blickwinkel durch: Fahraufnahmen als Sozius, Aufnahmen von einem Hügel herab und sogenannte Mitzieher (Alex steht am Strassenrand und zieht während des Auslösens mit den Töffs mit). Weiter integriert er Landschaftsteile wie Berge im Hintergrund sowie eine weisse Kirche ins Fahrbild.
Speziell ist die Inszenierung bei Nacht, mitten in Varenna auf dem Dorfplatz. Unsere Präsenz weckt Neugier bei den Bewohnern, welche sich mit dem Glas Wein in der Hand über den erlebten Tag austauschen. Neben uns, auch mitten auf besagtem Dorfplatz, spielen Jugendliche Fussball gegen ein Blechgaragentor und das am Abend! Hierzulange wäre diese Geräuschkulisse kaum gedultet. In Italien lebt man den Moment mit viel Toleranz vom Umfeld aus. Wenn Einstein noch lebte, würde er vielleicht nebst Raum und Zeit auch «Lärm» als «relativ» bezeichnen, wenn er das fröhliche, aktive Abendleben in Varenna hören würde.
Dirt Track
Beim Scrambler Vergleich brauchen wir natürlich stilechte Fotos im leichten Gelände. Deshalb sucht sich Alex schöne Punkte auf dem Passo di Agueglio aus, um uns abzulichten. Damit innerhalb kürzester Zeit mehrere Aufnahmen vom selben Ort zur Auswahl haben, müssen wir so rasch und sicher als möglich und richtig aufgereiht an den Startpunkt zurückkehren. Gut auf einander eingespielt und dem Lenkeinschlag entsprechend wenden wir jeweils an sicherer Stelle unsere Fuhrwerke für einen neuen Anlauf zum besten Foto des Hotspots. Micha und Patrick Schiffmann, unser dritter Testfahrer, seines Zeichens MSS-Redaktor, malen ein paar schöne Powerslides in den Dreck. Alex knippst dabei die fliegenden Steine gekonnt. Patrick muss ja wissen, wie man auf Naturboden voll nach vorne beschleunigt, dass sich der Boden unter einem aufrollt: Er war Nationalliga-A Football-Spieler! Wenn’s sein muss, trägt er seine Test-BMW auch nach Hause, sollte er sich einen Plattfuss einfahren.
Crewbildung wie beim Linienflug
Nebst der nötigen körperlichen Kondition fürs Testen braucht’s auch mentale Stärke und einen starken, aber offengeistigen Charakter. Gerade beim Vergleichstest prallen gestandene, selbständige Persönlichkeiten aufeinander, die es zu fokussieren gilt. Führung und Teambildung sind also grosse Themenfelder, denn die Testergruppe entsteht oft erst Stunden vor Abreise definitiv. Eine Freundin von mir ist Chef-Stewardess auf Langstreckenflügen bei einer Schweizer Fluggesellschaft. Als ihr Gast, offiziell und liebevoll «Standby» genannt, erlebte ich als Crewbegleitung die gleichen nötigen Fähigkeiten wie beim Töfftestteam. Der Chef muss innerhalb kürzester Zeit seine Schäfchen beisammen haben und das neu zusammengewürfelte Team führen, als würde er es seit Jahren tun. Denn es geht um Sicherheit, um tolle Szenen und Bilder sowie die Grundlage für eine spannende Story. Das heisst, er muss eine kreative Atmosphäre schaffen, damit als dies gelingt – und wie erwähnt, mit charakterstarken Testfahrern. In unserem Scrambler-Vergleich gelingt dies von Stunde zu Stunde besser und die Reise endet bei der 5-stündigen Heimfahrt zusammengepfercht auf der Dreiersitzbank des 3,5-t LKWs in einem sehr persönlichen und offenen Gespräch über Kontroversen, Kameradschaft, Gott und die Welt. In der «Bürowelt» wäre eine solch schnelle Annäherung und Teambildung oft wünschenswert. Diese Story gibt Motivation, dass es möglich ist – einfach einen LKW mieten und nach Italien fahren, um Motorräder zu testen, «Kletterpark-Massnahme» mal anders.
Mit herzlichen Dank ans TÖFF-MAGAZIN
Robin Senn, glücklicher und bereicherter -Leser