BMW GS – die Erfolgsstory 1980-2024
Erst gerade ging die neue 1300er BMW Boxer-GS an den Start. Wir blicken hier auf die vergangenen GS-Jahrzehnte zurück und versuchen, das Erfolgsgeheimnis zu erklären.
Der Start der ersten BMW Boxer-GS war zwar grossartig inszeniert und stimmte die BMW-Verantwortlichen deshalb auch hoffnungsfroh. Aber die Zahlen waren bescheiden. Das von BMW im September 1980 in Avignon (F) der Presse vorgestellte Modell R 80 G/S half der seinerzeit nicht gerade erfolgreich agierenden Firma zwar aus dem Gröbsten heraus. Doch war es keinesfalls ein solcher Erfolg, dass dafür das Wort «Zeitenwende» angemessen wäre.
Erfreuliche Fahreigenschaften
Die erste Boxer-GS (800 ccm, 50 PS, 191 kg) war ein sehr handlicher, vielseitig einsetzbarer Töff mit reichlich Federweg. Er lieferte unüblich kräftigen Durchzug und verfügte über insgesamt erfreuliche Fahreigenschaften. Aber von Perfektion konnte vor 43 Jahren keine Rede sein. Die Pendelneigung mit montierten Seitenkoffern war gut spürbar, das Auf und Ab des Chassis beim Gasgeben und Gaswegnehmen trotz der erstmals installierten Aluminiumguss-Einarmschwinge ebenso.
Knapp eine Million bis heute
Auch wenn sie in den ersten sieben Jahren gerade gut 21 000-mal gebaut wurde, so gebührt der R 80 G/S doch das Verdienst, den Grundstein für den Welterfolg der Buchstabenkombination GS gelegt zu haben. Denn mittlerweile wurden weltweit knapp eine Million BMW GS mit Boxer-Motor abgesetzt. Sämtliche GS-Modelle samt jenen mit Ein- und Reihenzweizylindermotor brachten es bislang auf fast 1,3 Millionen.
Die bisher erfolgreichste BMW GS
Weil eben erst das Nachfolgemodell (R 1300 GS) der seit 2018 gebauten R 1250 GS erschienen ist, blicken wir heute nochmals mit liebevoll-kritischem Blick zurück. Was ist die Ursache dafür, dass die ja ganz und gar nicht billige GS in so vielen Märkten der Welt nicht nur die bestverkaufte Reiseenduro, sondern sogar jahrelang das über alle Segmente hinweg meistgefragte Motorradmodell überhaupt ist? Übrigens: die R 1250 GS ist die bei Weitem erfolgreichste der bisherigen sieben Modellgenerationen.
In Deutschland Topseller seit 2001
Rund 15 Märkte von der Schweiz über Deutschland bis Argentinien zählt die Verkaufsabteilung des bayerischen Motorradbauers als «ihr Reich». Oft schon seit Jahren ist die GS Marktführer. Im Heimatmarkt Deutschland liegt sie seit 2001 ununterbrochen vorne, kam in den letzten Jahren auf stets mindestens 8000 Einheiten.
Stete Weiterentwicklung
Auf die R 80 G/S folgte 1987 die R 100 GS (980 ccm, 60 PS, 210 kg); Als Besonderheit wies sie erstmals den BMW-Paralever, also die Momentabstützung der einarmigen Hinterradschwinge, auf. Dank dieser pfiffigen Anordnung wurde das teils etwas indifferente Fahrwerk deutlich stabiler. Zudem verlor die «Gummikuh» ihr «Auf und Nieder» bei Lastwechseln.
Rallye-Ausführung
Weil BMW mit der eigens aufgebauten Rallye-Ausführung – der deutsche Spezialist HPN half dabei federführend – zwischen 1981 und 1985 gleich viermal die Rallye Paris-Dakar dominieren konnte, brachte man von der Hunderter eine Paris-Dakar-Version. Fahrwerkstechnisch und auch beim Antrieb unverändert, aber mit einem 35-Liter-Benzinfass, einer rahmenfesten, besser schützenden Verkleidung und einem aufgepeppten Äusseren. Serienmässig war ein Einzelsitz samt übergrosser Gepäckbrücke, doch war auch eine normale Doppelsitzbank erhältlich.
Dakar-Erfolge
Dass es diese Spezialversion erst von der zweiten Modellgeneration gab, zeigt die Unfähigkeit des seinerzeitigen Managements, die Dakar-Erfolge von Anfang an gebührend herauszustellen und mit diesem Pfund marketingtechnisch zu wuchern. «Ja was machen wir denn jetzt nach dem ersten/zweiten/dritten Dakar-Sieg?» So lautete bei BMW Motorrad die verunsicherte jährliche Standardfrage. Über einen fetten «Dakar»-Tank ging die Inszenierung der R 80 G/S in den Jahren vor 1987 aber nicht hinaus. «Da wäre seinerzeit mehr drin gewesen», erinnert sich der einstige Firmensprecher Hans Sautter heute.
Zuverlässig in die Neuzeit
Die R 100 GS Paris-Dakar entpuppte sich als fantastisches Reisemotorrad. Beispielsweise nutzte der Autor dieser Zeilen einen solchen Töff, um 1991 von München aus das Schwarze Meer komplett zu umrunden. Gut 10’000 Kilometer kamen im Lauf der 43 Reisetage zusammen. Zwischenziele waren das türkische Grenzgebiet zu Georgien, der Kaukasus, die Halbinsel Krim. Stoisch absolvierte die GS jede Hürde (wobei ihr die damalige Honda Africa Twin 750 in nichts nachstand).
Und auch als extrem widerstandsfähig erwies sich die BMW: Einen Crash mit einem sowjetischen Lkw steckte sie so gut weg, dass sie nach zwei Stunden grober Reparaturbemühungen wieder fahrbar war.
Auch für weite Reisen
Hier sind wir bei einem Phänomen, das bereits der G/S und auch der ersten GS zu eigen war: Sie war – abgesehen vom doch recht empfindlichen Fünfganggetriebe – ein enorm widerstandsfähiger, zuverlässiger und deshalb auf weiten Reisen vorzüglich einsetzbarer Töff. Die damals dank dieser Eigenschaften erworbenen Meriten halfen sämtlichen Nachfolgemodellen, auch wenn diese dann mit Vierventilmotor, Einspritzung, G-Kat und ABS technisch weitaus anspruchsvoller waren und anfangs als «viel zu empfindlich» galten.
Mit ABS nach Afrika?
«Damit kann man ja nicht mehr nach Afrika fahren!» war 1994 die Standardaussage vieler Globetrotter – bis sie es taten und danach immer wieder taten. Denn natürlich war auch eine R 1100 GS Afrika-tauglich, genau wie die 1999 folgende R 1150 GS und alle späteren Modelle.
Zeitenwende
Die 1100er, die zur Saison 1994 auf den Markt kam, stellte seinerzeit tatsächlich eine Zeitenwende dar. Und zwar mit mehr als einem Liter Hubraum, 30 Prozent mehr Leistung (78 oder 80 statt 60 PS) und einem vergleichsweise brutalen Drehmoment von 97 Nm. Dazu gab es die bereits genannten Ausstattungsdetails plus eine zweistufig einstellbare Sitzhöhe sowie einen verstellbaren Windschild. Die R 1100 GS mit ihrem sogar deaktivierbaren ABS wurde damals schlicht als «der Hammer» empfunden.
Neu: Telelever
Der Telelever versteifte die Front, verhinderte deren Eintauchen auch bei starkem Bremsen; so souverän liess sich damals kaum ein anderes Motorrad auf kurvenreichen, herausfordernden Strecken fahren. Mit einer Bodenfreiheit von 200 mm konnte man schon etwas anfangen, auch wenn die Orientierung der R 1100 GS deutlich Richtung Strasse ging. Das nur noch 19 Zoll grosse Vorderrad war der eindeutige Beweis. Dennoch: Im leichten und mittleren Gelände ging mit passender Stollenbereifung eine ganze Menge. Man musste sich nur trauen …
Optionen, die andere nicht boten
Auch bei den späteren Modellen R 1150 GS, R 1200 GS (K25, luftgekühlt) und R 1200 GS (K50, wassergekühlt) war die technische Individualisierungsmöglichkeit im Werk ein wesentlicher Aspekt für die Attraktivität der GS. Viele kauften einfach «voll» und erhielten dann Extras, die es bei anderen Herstellern zur jeweiligen Zeit nicht gab. Wir denken an das ESA, das Offroad-ABS und manches mehr. Auch die enorme Variabilität bei der Ergonomie mit Tieferlegungsmöglichkeit wurde von vielen Kunden als Pluspunkt der GS betrachtet.
Ohne GS keine Offroadparks
Wichtig für die Einschätzung des GS-Erfolgs sind nicht nur die Absatzzahlen, sondern auch das Marketinggeschehen am Rande. BMW entwickelte die Idee der Enduroparks, brachte speziell fürs Offroaden geschneiderte Textilanzüge mit Membran-Inserts, lancierte spezielles Fahrzeugzubehör sowie Fahrerausstattung. «In Zeiten, in denen das Fahren auf nicht asphaltierten Wegen überall immer stärker eingeschränkt wird, müssen wir den GS-Kunden spezielle Möglichkeiten bieten, auf denen sie ihre GS artgerecht bewegen können», sagte man in München. So entstand die Hechlingen-Idee, die nach jahrelanger Vorarbeit schliesslich im Juli 1993 realisiert wurde. Mittlerweile wurden dort mehr als 50’000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt. Seit Jahren wurde und wird die Idee der Offroadparks auf viele Länder und Kontinente ausgeweitet.
Erfolg durch Ausgewogenheit
Der enorme GS-Erfolg der Jahre 1994 bis 2012 paralysierte die Wettbewerber aus Japan genauso wie die europäischen Konkurrenten. Jahrelang liess man BMW widerstandslos gewähren, fand kein eigenes Mittel, der GS die Stirn zu bieten. KTMs Anfang mit der 950 Adventure war fraglos mutig, aber erfolglos.
Viel zu wenige Töfffahrer waren fahrerisch imstande, ein verkapptes Rallyebike lustvoll zu pilotieren, denn die KTM war für die breite Masse der gelegentlichen Feld- und Waldwegfahrer viel zu spitz konfiguriert und somit unbrauchbar.
Aber auch andere Wettbewerber brachten kein Bein auf den Boden: Denken wir an die Yamaha Ténéré 1200, an die Honda Varadero, die erste Triumph Tiger 900 (1993- 1998) oder auch die erste Ducati Multistrada 1000 S (ab 2003).
Es ist nicht die Leistungsstärke des Boxers
Es ist nicht die Leistungsstärke des Boxermotors, die Töfffahrer in Scharen zur GS lockte und weiterhin lockt: Denn auch mit «nur» 136 PS kann die GS am Pass auch an der deutlich stärker motorisierten Konkurrenz dran bleiben. Den Ausschlag für ihre enorme Beliebtheit gibt vielmehr die Ausgewogenheit der GS- Konzeption, die Fähigkeit, eine enorme Bandbreite an Anforderungen abzudecken.
Dazu kommen hoher Fahrkomfort, herausragende Handlichkeit und die Fähigkeit, bereits eine Sekunde nach dem Losfahren zumindest 50 Kilogramm Fahrzeugmasse vergessen zu machen.
Damals: Die „GS Challenge“
Ein weiterer Gesichtspunkt war enorm wichtig für das Gedeihen des GS-Gedankens und daraus folgend den anhaltenden bzw. stetig wachsenden Markterfolg: die Bestrebungen des BMW-Marketings, die GS-Kunden zu faszinieren und so bei der Stange zu halten. Schüchtern begann man mit einer «GS Challenge» genannten Veranstaltung im Raum Hechlingen (D), bei der eine Handvoll Teams ihre Fähigkeiten und Kräfte messen konnten – stets mit GS-Bezug. Es galt, eine GS auf Zeit über einen Baggersee zu rudern, schnellstmöglich die Räder zu wechseln oder möglichst souverän knifflige Strecken zu absolvieren und den Kollegen beim Festfahren notfalls beizuspringen.
Heute: Die „Internationale GS-Trophy“
Gewertet wurde stets das Team. Aus dieser «Challenge» entwickelte BMW dann die Internationale GS-Trophy, die ihren Start 2008 in Tunesien nahm. Teams aus fünf Ländern nahmen an den bayerischen Sandkastenspielen teil. Ziele der alle zwei Jahre ausgetragenen Trophy waren (unter anderen) Südafrika, Thailand, die Mongolei, Kanada oder zuletzt Albanien. 2024 ist Namibia dran. Es handelt sich um Erlebnisse der Kategorie «Once in a lifetime»; eine Trophy ist ein Leben lang unvergesslich.
Neu: Die R 1300 GS
Wer schon seit 20 Jahren Töff fährt, der weiss um die technische Aufrüstung der GS-Generationen. Stets wurden sie agiler, leichter fahrbar, steigerten ihre Fähigkeiten auf wie abseits der Strasse. Ein genialer Schachzug war die Entwicklung des sogenannten «Shift Cam», der variablen Ventilverstellung. Die 1250er wurde zwar erneut schwerer und doch agiler.
Einmal in ihrer bisherigen Bauzeit wurde die GS auch dramatisch leichter: Die erste 1200er verlor gegenüber der 1150er volle 20 Kilogramm. Die neue 1300er speckte nun gegenüber ihrer Vorgängerin ebenfalls wiede ab, und zwar 12 Kilo.
GS: für BMW Motorrad systemrelevant
Gerne werden wir die R 1300 GS, wie stets, auch gegen die Mitbewerber antreten lassen. Mit journalistischer Distanz, aber auch mit Respekt vor der Langzeitleistung von BMW. In wirtschaftlich arg bedrängter Situation das Fundament für einen Leuchtturm zu erbauen, ist ein echter Grund zur Zufriedenheit. Dass dieser Leuchtturm seine Stabilität im Lauf von 43 Jahren so eindrucksvoll unter Beweis stellen würde, hat 1980 freilich niemand gewusst und auch nicht zu hoffen gewagt.
Absatzzahlen der BMW Boxer-GS
Modell | Zeitraum | Einheiten |
R 80 G/S | 1980–1987 | 21 864 |
R 100 GS | 1987–1993 | 34 007 |
R 65 GS | 1987–1992 | 1 727 |
R 80 GS | 1987–1996 | 11 383 |
R 1100 GS | 1994–1998 | 43 628 |
R 850 GS | 1998–2000 | 2 242 |
R 1150 GS | 1999–2003 | 58 023 |
R 1150 GS Adventure | 2001–2005 | 17 828 |
R 1200 GS | 2004–2012 | 184 399 |
R 1200 GS Adventure | 2006–2012 | 79 128 |
Total (luftgekühlt) | 1980–2012 | 454 229 |
R 1200 GS LC | 2013–2018 | 160 334 |
R 1200 GS Adventure LC | 2014–2018 | 99 571 |
R 1250 GS | 2018–2022 | 134 898 |
R 1250 GS Adventure | 2018–2022 | 115 210 |
Total (wassergekühlt) | 2013–2022 | 510 013 |
Total Boxer-GS | 964 242 |
— Text: Ulf Böhringer — Fotos: BMW Group Classic, Böhringer